
Ustwolskaja Oktett
Ensemble Resonanz & Alexander Melnikov
Musik / Konzert Quintett & Kammerensemble 0„So wie diese Musik klingt und wirkt, muss man sich den eisernen Vorhang vorstellen“ – dies soll Igor Strawinskys Reaktion gewesen sein, als er Galina Ustwolskajas Oktett hörte. Die Musik der rätselhaften Komponistin, 1919 in Sankt Petersburg (dem damaligen Petrograd) geboren und dort 2006 gestorben, reflektiert das Gefangensein im sowjetischen System, in dem die Künste zur Staatsaffäre geworden sind. Nur 25 Kompositionen konnten vor ihrer strengen Selbstkritik bestehen und fanden Aufnahme ins offizielle Werkverzeichnis. Das mit zwei Oboen, vier Violinen, Klavier und Pauken ungewöhnlich besetzte Oktett besteht aus fünf kurzen, ineinander übergehenden Sätzen in abwechselnd langsamem und schnellem Tempo. Im Pierre Boulez Saal erklang es in der Spielzeit 2019/20 im Rahmen einer Konzertreihe zum 100. Geburtstag der Komponistin, die aufgrund der Pandemie nur zum Teil vor Live-Publikum stattfinden konnte.
Galina Ustwolskaja (1919–2006)
Oktett für zwei Oboen, vier Violinen, Pauke und Klavier (1950)
I. Viertel = 66 –
II. Viertel = 108 –
III. Viertel = 69 –
IV. Viertel = 132 –
V. Viertel = 48
Alexander Melnikov, Klavier
Ensemble Resonanz




In Ustwolskajas 1949/50 entstandenem, mit zwei Oboen, vier Violinen, Klavier und Pauken ungewöhnlich besetztem Oktett entfalten alle acht Instrumente als Solisten ihre eigene Individualität. Die fünf abwechselnd langsamen und schnellen Sätze sind durch eine Montage von sich ohne Variation wiederholenden Patterns und Taktreihen geprägt. Der statische Charakter dieser Satztechnik wird durch eine gleichmäßige Viertelbewegung, die paradoxerweise aber durch eine komplementäre Rhythmik aller Instrumente und einem in jedem Takt sich verändernden Metrum entsteht, noch unterstützt. Wie mit „schwarzen Löchern“, die mit einer enormen Sogwirkung unvorstellbare Abgründe aufreißen, erscheint der musikalische Satz durchbrochen. Die eigenartig spannungsgeladene Harmonik wird durch den Tritonus geprägt – das in der abendländischen Tradition lange als „Diabolus in musica“ geltende Intervall, das allerdings in der russischen Kirchen- und Volksmusik eine ganz eigene Rolle spielt.
Immer wieder fahren die allgegenwärtigen Pauken mit brachialer Kraft wie Schicksalsschläge in eine Musik hinein, in der Optimismus keinen Platz hat.
Als Igor Strawinsky kurz vor seinem Tod Ustwolskajas Oktett hörte, soll er darauf sichtlich betroffen geäußert haben: „So wie diese Musik klingt und wirkt, muss man sich den eisernen Vorhang vorstellen.“ Und Reinhard Schulz schrieb 2007: „Bei Ustwolskaja wird niederschmetternd klar: Es gibt kein Entkommen. Musik blüht nicht mehr auf, sondern blickt einzig auf ihre Ruinen zurück. Wahrhaftige Musik? Die These, dass Musik nicht schön, sondern wahr sein solle, hat Schönberg einst mit grandioser Geste ins Feld geführt. Sie war Parole mit zutreffendem Kern, aber was wirklich Wahrheit in der Musik ist, das hat wohl allein Galina Ustwolskaja bis in die letzten existentiellen Winkel durchlebt. Denn Wahrheit kann man nicht behaupten, zumindest nicht nur, man muss sie leben.“
—Anna do Paco
Dieser Text erschien erstmals im Programmheft des Pierre Boulez Saals zum Konzert des Ensemble Resonanz, Alexander Melnikov und Jeroen Berwaerts am 27. Januar 2020.
Klavier
Alexander Melnikov
Oboen, Violinen, Timpani
Ensemble Resonanz
Audio Producer
Julian Schwenkner
Sound engineer
Julian Schwenkner
Kamera
Dirk Lütter (DOP)
Eric Lahmann
Malte Unger
Nao Aphischai Luu
Editor
Friedrich Gatz
Video Director
Friedrich Gatz
Producer
Oliver Becker, otbmedien
Eine Produktion des Pierre Boulez Saals.
„Oktett“ written by Galina Ustvolskaya © 1998 Musikverlag Hans Sikorski, Hamburg mit freundlicher Genehmigung von Musikverlag Hans Sikorski GmbH, Berlin