
Schubert Quartettsatz
Streichquartett der Staatskapelle Berlin
Musik / Konzert Quartett 0In den „Jahren der Krise“ zwischen 1818 und 1823, in denen Schubert stilisisch neue Wege einschlug, wagte er sich nur ein einziges Mal an die Gattung, die als Königsdiszpilin der Kammermusik gilt: Das 1820 niedergeschriebene rastlose Quartett-Allegro in c-moll führt das mühevolle Ringen des 23-jährigen Komponisten um musikalische Neuerung klanglich vor Augen. Die Arbeit am nachfolgenden Andante brach er nach 41 Takten ab – erst vier Jahre später sollte er seine drei letzten großen Quartette komponieren. Doch der solitäre Kopfsatz blieb und zählt heute – wie die „Unvollendete“ Symphonie von 1822 – zum festen Bestandteil des Repertoires.
Franz Schubert (1797–1828) Streichquartett c-moll D 703 „Quartettsatz“ (1820) Allegro assai
Wolfram Brandl, Violine Krzysztof Specjal, Violine Yulia Deyneka, Viola Claudius Popp, Cello |
Angesichts der kurzen Lebensspanne bei Franz Schubert von einem „Spätwerk“ zu sprechen, verbietet sich von selbst. Dennoch lässt sich sein Schaffen gliedern in die Fülle der frühen Werke (mit sechs Symphonien und wenigstens elf Streichquartetten) und all jene Kompositionen, die ab etwa 1824 in der Zeit der Reife entstanden. Dazwischen liegen die „Jahre der Krise“ (1818–1823) – jener Abschnitt in Schuberts schöpferischer Biographie, in dem er einen inneren Abstand zu seinen bisherigen Werken gewann, sich stilistisch weiterentwickelte und im Bereich des Ausdrucks neue Wege einschlug, in dem er aber auch zahlreiche dieser Experimente unvermittelt abbrach. Als sein alterer Bruder Ferdinand in einem Brief vom 3. Juli 1824 berichtet, er habe angefangen, „deine Quartetten wieder zu spielen“, reagierte Schubert mit verhaltener Ironie und deutlicher Distanz zu den eigenen Werken: „Über Deine Quartetten-Gesellschaft wundere ich mich umsomehr, da Du den Ignaz!!! [Schuppanzigh] dazu bewegen vermochtest. Aber besser wird es seyn, wenn Ihr Euch an andere Quartetten als die meinigen haltet, denn es ist nichts daran, auser das sie vielleicht Dir gefallen, dem alles von mir gefällt.“
Zu den Kompositionen aus dieser Zeit der radikalen Neuorientierung gehört auch das im Dezember 1820 niedergeschriebene Quartett-Allegro c-moll, das bis heute wie eine seltsam entfernte Insel wirkt: „Keine Brücke führt zu ihm“, konstatiert Alfred Einstein in seiner Schubert-Biographie.
In der Tat bleibt der Satz mit seiner düsteren, rastlos bohrenden Unruhe singulär – und führt Schuberts mühevolles kompositorisches Suchen auf geradezu bestürzende Weise klanglich vor Augen: Die nach Erlösung strebende Reprise wird in den letzten elf Takten mit der in sich kreisenden chromatischen Geste der Hauptthemengruppe harsch gewendet, als gäbe es kein Entrinnen. So geschlossen heute dieser Satz anmutet, so bleibt er doch nur Teil eines unvollständigen Streichquartetts: Der im Manuskript mit „Andante“ überschriebene zweite Satz bricht nach 41 Takten ab. Dass diese im Jahr ihrer Entstehung Grenzen überschreitende Komposition dennoch Eingang ins Repertoire fand, ist Johannes Brahms zu verdanken, der die Handschrift aus unbekanntem Besitz erworben hatte. Er organisierte eine erste Aufführung
durch das Hellmesberger-Quartett im März 1867 wie auch
die drei Jahre später erfolgte Drucklegung mit dem von ihm angeregten Titel „Quartett-Satz (C moll)“.
—Michael Kube
Dieser Text erschien erstmals im Programmheft des Pierre Boulez Saals zum Konzert des Boulez Ensembles am 1. September 2020.
Violin
Wolfram Brandl
Krzysztof Specjal
Viola
Yulia Deyneka
Cello
Claudius Popp, Cello
Video Director
Frederic Delesques
Recording
Camera
Anna Motzeln, Joanna Piechenka, Mathias Sifihn, Nicolai Wolff
Colour Grading
Stephane Andrivot
Teldex Studio Berlin
Audio Producer
Friedemann Engelbrecht
Sound Engineers & Audio Post-Production
Julian Schwenkner, Sebastian Nattkemper
Heliox Films
Production Manager
Emmanuelle Faucilhon
Executive Producer
Pierre-Francois Decoufle
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