Fleur Barron Mezzosopran
Kunal Lahiry Klavier
Programm
Lieder von
Theodoro Valcárcel
Olivier Messiaen
Xavier Montsalvatge
Ernesto Lecuona
Gustav Mahler
Arnold Schönberg
Ilse Weber
Kurt Weill
Maurice Delage
Kamala Sankaram
Maurice Ravel
Kian Ravaei
Zubaida Azezi & Edo Frenkel
Huang Ruo
Chen Yi
Theodoro Valcárcel (1900–1942)
Tungu tungu
aus Cantos del alma vernácula (1935)
Olivier Messiaen (1908–1992)
Doundou tchil
aus Harawi (1945)
Xavier Montsalvatge (1912–2002)
Cuba dentro de un piano
Punto de habanera
aus Cinco canciones negras (1945–46)
Ernesto Lecuona (1895–1963)
La señora luna (1937)
Gustav Mahler (1860–1911)
Von der Schönheit
aus Das Lied von der Erde (1908–09)
Arnold Schönberg (1874–1951)
Tot op. 48 Nr. 2 (1933)
Ilse Weber (1903–1944)
Ich wandre durch Theresienstadt (nach 1942)
Bearbeitung von Fleur Barron und Kunal Lahiry
Kurt Weill (1900–1950)
Neid
Epilog
aus Die sieben Todsünden (1933)
Pause
Maurice Delage (1879–1961)
Ragamalika (1914)
Kamala Sankaram (*1978)
The Far Shore (2014)
Maurice Ravel (1875–1937)
La Flûte enchantée
L’Indifférent
aus Shéhérazade (1903)
Kian Ravaei (*1999)
I Will Greet the Sun Again (2024)
Auftragswerk des Pierre Boulez Saals und der Internationalen Hugo-Wolf-Akademie Stuttgart
Zubaida Azezi (*1990) & Edo Frenkel (*1988)
Ananurhan (2021)
Huang Ruo (*1976)
Fisherman’s Sonnet
Chen Yi (*1953)
Monologue
Wiegenlied (Nordostchina)
Flower Drum Song (Fengyang / China)
David Kakabadzé, Abstrakte Blumenformen (1921)
Die Kraft und die Herrlichkeit
Mit einem Liederabend eine Geschichte zu erzählen, die die eigene ist und zugleich die ganze Menschheit berührt – dieser Gedanke steht hinter dem Programm, mit dem Fleur Barron und Kunal Lahiry vielfältige Stimmen aus der ganzen Welt in einen Dialog bringen: Stimmen aus Südamerika und der Karibik, Europa, Iran, Indien und China.
Essay von Anne do Paço
Die Kraft und die Herrlichkeit
Ein musikalischer Dialog zwischen den Kulturen
Anne do Paço
Mit einem Liederabend eine Geschichte zu erzählen, die die eigene ist und zugleich die ganze Menschheit berührt – dieser Gedanke steht hinter dem Programm, mit dem Fleur Barron und Kunal Lahiry vielfältige Stimmen aus der ganzen Welt in einen Dialog bringen: Stimmen aus Südamerika und der Karibik, Europa, Iran, Indien und China. „Ich bin von Geburt halb britisch und halb singapurisch, bin in Hongkong aufgewachsen, habe dort den Übergang von der britischen Kronkolonie zu einer Art chinesischem Protektorat erlebt und bin von sehr vielen unterschiedlichen kulturellen Einflüssen geprägt“, erzählt Barron. „All das hat mich dazu inspiriert, die Geschichte des Kolonialismus und des Imperialismus zum Ausgangspunkt eines Liedprogramms zu machen, in dem sich meine persönlichen Erfahrungen mit Musik aus mehreren Jahrhunderten verbinden.“
Das Projekt hat sich seit der ersten Aufführung 2021 beim Festival d’Aix-en-Provence kontinuierlich weiterentwickelt. Als „lebendiges Abbild der Kulturen auf der Welt im hier und jetzt“ beschreibt ihr Partner, der indisch-amerikanische Pianist Kunal Lahiry, die Mischung von Werken, die immer wieder neue Perspektiven eröffnen und dabei die gegenseitige Faszination verschiedener Kulturen ebenso reflektieren wie deren Resonanz im jeweils anderen. Auch Themen wie Machtmissbrauch, Unterdrückung, Vertreibung, Verlust der Heimat, der Identität oder gar des Lebens spielen eine wichtige Rolle. Barron und Lahiry bezeichnen alle lebenden Komponist:innen, die im Programm vertreten sind, als persönliche Freund:innen – sei es, dass sie seit ihrer Ausbildung mit deren Musik eng verbunden sind, sei es durch „aktuelle Freundschaften mit Komponist:innen, deren Stücke oft von Migration oder komplexen Identitäten handeln, wie unsere Auftragswerke von jungen, nicht-westlichen Stimmen wie Kian Ravaei, Huang Ruo oder Zubaida Azezi und Edo Frenkel.“
Mühelos wechselt die Mezzosopranistin dabei zwischen den verschiedensten Sprachen, singt auf Deutsch, Französisch, Spanisch oder Englisch ebenso wie auf Uigurisch, Farsi, Mandarin oder Quechua. „Aber auch für Kunal gibt es auf dem Klavier neue Spiel- und Improvisationstechniken zu erkunden“, erläutert die Sängerin, und der Pianist ergänzt: „Wir denken dabei in einer Art Werkzeugkasten, überlegen genau, welcher ‚Pinsel‘ für welches Lied der richtige ist und tun das mit viel Neugierde, Spontaneität und Spielfreude, denn all das ist unabdingbar, um das Publikum zu erreichen.“
The Power and the Glory ist eine Einladung zu einer musikalischen Reise rund um den Globus, auf der jeder seinen Lieblingsort finden kann, auf der sich aber auch Hörgewohnheiten und Perspektiven auf überraschende und aufregende Weise neu justieren.
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Theodoro Valcárcel, der seine Ausbildung ab 1914 am Mailänder Konservatorium sowie ab 1916 bei Felipe Pedrell in Barcelona absolvierte, zählt zu den bedeutendsten peruanischen Komponisten des 20. Jahrhunderts. Sein Tungu tungu ist ein melancholischer Gesang, in dem ein Mann seiner Sorge um seine traurige Geliebte Ausdruck verleiht. Das Stück gehört zu den 1935 entstandenen Cantos del alma vernácula („Lieder der einheimischen Seele“) auf Texte in den indigenen Andensprachen Quechua und Aymara, in denen Valcárcel Elemente einheimischer Folklore mit europäischen Einflüssen verbindet.
Als „harawi“ werden in den Anden traditionelle Melodien bezeichnet, die von unerwiderter Liebe und der Not der Menschen handeln. Der Franzose Olivier Messiaen ließ sich davon 1945 zur Komposition eines zwölfteiligen Liederzyklus anregen, der wie Valcárcels Tungu tungu die Quechua-Sprache verwendet. Doundou tchil beschreibt den Tanz eines Mannes, der wie ein balzender Vogel um seine Geliebte wirbt. Glockenartige Klänge und transkribierte Vogelstimmen (ein typisches Stilmittel Messiaens) prägen das Stück, in dem der Komponist die südamerikanische Inspiration auf einzigartige Weise in seine eigene, höchst individuelle Klangsprache integriert.
Der Katalane Xavier Montsalvatge hegte eine große Begeisterung für die Musikkultur Kubas – und musste sich in einer Zeit, in der Tonaufnahmen noch nicht verbreitet waren, besonderer Recherchemethoden bedienen: An der Costa Brava belohnte er Seeleute mit spanischem Wein, wenn sie ihm die Melodien ihrer Heimat vorsangen, während er diese per Hand notierte. Diese Art der Volksliedforschung schlug sich auch in Montsalvatges eigenem Komponieren nieder, wie die beiden Lieder aus den Cinco canciones negras von 1945 zeigen. Das im Stil einer Habanera angelegte Cuba dentro de un piano ist eine nostalgische Erinnerung an ein altes Kuba, dessen hispanische Kultur – die ja zunächst die indigene Bevölkerung ausgelöscht hatte – längst durch nordamerikanische Einflüsse ersetzt wurde. Der Text signalisiert dies mit der Verdrängung des spanischen „sí“ durch ein amerikanisches „yes“. Punto de habanera imaginiert dagegen im Rhythmus einer Guajira – einem vom Flamenco andalusischer Einwanderer abstammenden Tanz – eine kreolische Frau, die selbstbewusst an einer Gruppe von Matrosen vorbeigeht.
Direkt nach Kuba führt La señora luna des in Havanna geborenen Ernesto Lecuona. Das Wiegenlied in Form eines kubanischen Bolero stammt aus den Cinco canciones von 1937 nach Texten der uruguayischen Dichterin und Feministin Juana de Ibarbourou. Mit mehr als 600 Werken zählt Lecuona zu den produktivsten Komponisten seines Landes, und als Pianist begeisterte er auch als Botschafter der kubanischen Musik in Europa.
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Mit Gustav Mahlers Von der Schönheit aus Das Lied von der Erde wechselt das Programm die Perspektive hin zu europäisch-jüdischen Stimmen. Mahler befand sich zur Entstehungszeit seines symphonischen Liederzyklus im Jahr 1908 in einer schweren Krise. Nicht nur, dass er wegen einer antisemitisch motivierten Hetzkampagne sein Amt als Direktor der Wiener Hofoper hatte niederlegen müssen – es starb außerdem seine Tochter Maria Anna, und er selbst erhielt die Diagnose seines schweren Herzleidens. In einer Sammlung freier Nachdichtungen chinesischer Lyrik, die Hans Bethge unter dem Titel Die chinesische Flöte herausgegeben hatte, mag Mahler heilsame Kräfte gesucht haben, in jedem Fall eröffneten ihm die Texte aber einen kompositorischen Reflexionsraum. Indem er Gegensätze wie Jugend und Alter, Tag und Nacht, Vergänglichkeit und Ewigkeit, aber auch Einsamkeit und Geselligkeit wie in Von der Schönheit musikalisch artikulierte, nutzte Mahler die Polaritäten des Yin und Yang als Strukturelement und verlieh seinem Werk durch die Begegnung mit fernöstlichen Kompositionsweisen wie dem Aufweichen der Metrik, heterophonen Einflüssen in der Stimmführung und pentatonischer Färbung der Harmonik seine einzigartige Atmosphäre.
Von völlig anderem Charakter ist Arnold Schönbergs lediglich 18 Takte umfassendes Tot: ein Lied von unerbittlicher Kantigkeit und lakonischer Bitternis. Die zwölftönige Komposition ist Teil einer Liedsammlung, die Schönberg Anfang 1933 auf Texte Jakob Haringers komponierte – wohl, um den sich permanent in Geldnöten befindenden Dichter zu unterstützen. Zugleich lässt sich das düstere Lied aber auch auf die politische Situation beziehen, die Schönberg wenig später zur Emigration in die USA zwang.
Der Dichterin Ilse Weber gelang es nicht, der Vernichtungsmaschinerie der Nazis zu entkommen. Im Alter von 41 Jahren wurde sie in Auschwitz ermordet, nachdem sie – wie viele andere Künstler: innen – zunächst in Theresienstadt interniert worden war. Für die dort lebenden Kinder schrieb sie etwa 60 Lieder und Gedichte, die in ihrer Schlichtheit zu den berührendsten Zeugnissen jener Zeit zählen, darunter Ich wandre durch Theresienstadt, eine Klage über den Verlust der Heimat.
Mit den „Übeln der Menschheit“ befasste sich Kurt Weill 1933 in seinem satirischen „Ballett mit Gesang“ Die sieben Todsünden. Zu ihnen zählt der Neid, der vor allem in kapitalistischen Systemen – auch eine Form von Imperialismus – seinen Platz hat. Neidvoll betrachtet die Protagonistin Anna in San Francisco, wie andere Mädchen glücklich zu sein scheinen, obwohl sie eine „Todsünde“ nach der anderen begehen. Als sie sich schließlich gegen ein Leben in dem selbstzerstörerischen Moloch entscheidet und in ihr bescheidenes Dasein in Louisiana zurückkehrt, wird sie von aller Last befreit.
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Maurice Delage war ein Schüler und enger Freund Maurice Ravels und einer der Hauptakteure des 1902 gegründeten Pariser Künstlerkollektivs Apaches, einer rebellischen Gruppierung, die massive Kritik am nationalistisch gefärbten akademischen Musikbetrieb übte. Seinen Vater – ein reicher Unternehmer mit internationalen Geschäftsverbindungen – begleitete Delage auf Reisen nach Indien und Japan, wo er die dortigen Musikkulturen studierte und sich diese anverwandelte, allerdings nicht im Sinne einer „Verzierung“ der abendländischen Musik durch sogenannte Exotismen, wie es in Europa so sehr in Mode war. Vielmehr ging es Delage um die Schaffung einer neuen Musik durch respektvolle Verwendung fremder Techniken. Das 1914 entstandene Lied Ragamalika nach einem Text des tamilischen Shivait-Heiligen Ramalinga Swamigal basiert auf einer Aufnahme der indischen Sängerin Coimbatore Thayi, die Delage bei einem Besuch der Tempel von Mahabalipuram kennengelernt hatte. (Der in den Noten festgehaltene Text ist eine phonetische Transkription des Originals, die rein sprachlich keinen Sinn ergibt.) Mit seiner melismatischen Gesangslinie zählt das Stück zur Gattung der indischen Andachtslieder Arulpa, deren traditionelle Trommelbegleitung Delage aufs Klavier übertrug, indem er den Anschlag der Bassnote B mit einem Stück Karton manipulierte.
Vom indischen Raga ließ sich die indisch-amerikanische Komponistin Kamala Sankaram zu The Far Shore inspirieren – eine Komposition, in der weit ausschwingende Vokalisen und zarte Klangflächen mit ekstatischen Rhythmen kontrastieren und die wie Mahlers Lied von der Erde vom ewigen Kreislauf des Lebens spricht.
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Insbesondere im ausgehenden 19. Jahrhundert fühlten sich viele Künstler:innen von Tausendundeiner Nacht fasziniert, jener Sammlung von Geschichten, die Scheherazade dem persischen König Schahriyar Nacht für Nacht erzählt haben soll, um ihn von seinem Zorn und seiner tödlichen Gewaltbereitschaft zu heilen. Maurice Ravel, der zunächst eine Shéhérazade-Oper realisieren wollte, destillierte 1903 in seinem Liederzyklus auf Texte von Tristan Klingsor einige Szenen des Buches in kleinere lyrische Form: In La Flûte enchantée lässt sich eine Dienerin vom Flötenspiel ihres Geliebten betören, in L’Indifférent geht es dagegen um eine gescheiterte Verführung und das Faszinierende einer androgynen Schönheit.
Ravels Lieder spiegeln die europäische Orientbegeisterung des Fin de Siècle. Fleur Barron und Kunal Lahiry lag es daher besonders am Herzen, auch eine aktuelle Perspektive auf diesen vielfach adaptierten Stoff in ihr Programm aufzunehmen. So beauftragten sie 2024 Kian Ravaei, einen in Los Angeles als Sohn iranischer Emigranten geborenen Komponisten, ein zeitgenössisches Gegenstück zu schreiben. I Will Greet the Sun Again basiert auf einem Text in Farsi der Dichterin Forough Farrokhzad, einer Hauptakteurin der iranischen Frauenbewegung. „Scheherazades Erfahrung weiblicher Gefangenschaft ist derjenigen nicht unähnlich, der Farrokhzad ausgesetzt war und die Millionen iranischer Frauen weiterhin ertragen müssen“, schreibt Ravaei über seine Komposition. Die ornamental geführte Gesangsstimme erhebt sich über farbenreicher Harmonik und flirrenden Trillerklängen zu einer Hommage an alle um ihre Freiheit kämpfenden Frauen. Der gleichen Thematik widmet sich auch das folgende, ebenfalls von Barron und Lahiry in Auftrag gegebene Ananurhan von Zubaida Azezi und Edo Frenkel.
Ananurhan beruht auf einer Volksweise der Uiguren – einer turksprachigen Ethnie, die heute vor allem im Gebiet Xinjiang beheimatet ist. Durch Zubaida Azezi, die eigentlich klassische Geigerin ist, hat Fleur Barron vor einigen Jahren die uigurische Musik entdeckt. Der Text des Liedes basiert auf einer wahren Begebenheit: 1899 wurde die Uigurin Ananurhan an den Königshof von Lukchun entführt und dort zur Konkubine gemacht. Anstatt sich den Annäherungsversuchen des Herrschers auszuliefern, tötete Ananurhan ihn und stürzte sich aus Verzweiflung aus einem Fenster. Das Lied ist eine Klage des Uiguren Jelil, der seine Familie zurücklässt, um sich im Tod mit seiner Geliebten zu vereinen. In Azezis und Frenkels Komposition imitiert das präparierte Klavier erneut Trommelschläge. Das Stück „ist von großer Spannung: auf der einen Seite der verzweifelte, klagende Text, auf der anderen der Rhythmus eines beschwingten Tanzes“, erklärt Kunal Lahiry. „Aus dieser Spannung erfahren wir auch etwas über die Uiguren und ihre Widerstandskraft, mit der sie sich inmitten all der Tragödien von Verfolgung und Vertreibung, die sie über Jahrhunderte erleben mussten, doch ihren Lebenswillen bewahrt haben, und über eine Kultur, in der es das gemeinsame Singen ist, das in existenziellen Extremsituationen Kraft gibt.“
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Die beiden folgenden Werke von Huang Ruo und Chen Yi beziehen ihre Inspiration aus der chinesischen Oper, auf die ihre Komponist:innen allerdings aus räumlicher Distanz blicken: Huang Ruo, der in Shanghai klassische chinesische und westliche Musik studierte, übersiedelte 1995 nach New York; Chen Yi, die seit 1986 in den USA lebt, war in den 1970er Jahren als Konzertmeisterin und Komponistin für die Pekingoper in ihrer Heimstadt Guangzhou tätig. In ihrem Monologue greift sie die deklamatorisch-klagende Melodieführung und die komplexen Tonhöhenverschiebungen dieses traditionellen Genres des chinesischen Musiktheaters auf. Huang Ruo bezieht sich mit dem für Fleur Barron und Kunal Lahiry komponierten Fisherman’s Sonnet auf den Kunqu, eine der ältesten Formen der chinesischen Oper.
Mit zwei traditionellen chinesischen Liedern schließt das Programm. Der Flower Drum Song aus Fengyang wurde auch in der westlichen Welt bekannt durch seine Verwendung in der Verfilmung von Pearl S. Bucks Roman The Good Earth aus dem Jahr 1937. Der Text thematisiert das Elend der Menschen in der Provinz Anhui, die – immer wieder von schweren Überschwemmungen betroffen –, ihren Lebensunterhalt mit Singen zu verdienen versuchen. Das Wiegenlied aus der Provinz Liaoning im Nordosten Chinas ist nicht nur im Bewusstsein vieler Chines:innen tief verankert – es schafft auch über kontinentale Grenzen hinweg Verbindungen. „Als wir dieses Stück in der Wigmore Hall aufgeführt haben“, berichtet Fleur Barron, „hörte man im Publikum ein erstauntes Aufatmen. Das zeigte uns auf sehr berührende Weise, dass dort jemand saß, die oder der vielleicht zum ersten Mal in einem klassischen Konzert eine Melodie wiedererkannt hat, die Teil der eigenen Identität ist.“ Dieses Erlebnis war für beide Künstler:innen von besonderer Bedeutung. „Es hat uns in dem Glauben bestärkt, dass Musik auf der ganzen Welt nicht nur dem Publikum Selbstvertrauen schenken kann, sondern auch all den Musiker:innen, die die westliche klassische Musik schätzen, sich aber von den Strukturen des westlichen Musikbetriebs nicht unterstützt fühlen.“
Anne do Paço studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte und Germanistik in Berlin. Nach Engagements am Staatstheater Mainz und der Deutschen Oper am Rhein ist sie seit September 2020 Chefdramaturgin des Wiener Staatsballetts. Sie veröffentlichte Aufsätze zur Musik- und Tanzgeschichte des 19. bis 21. Jahrhunderts und war als Autorin u.a. für die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen, das Wiener Konzerthaus und die Opéra National de Paris tätig.
Die Künstler:innen

Fleur Barron
Mezzosopran
Fleur Barron wurde als Tochter einer singapurischen Mutter und eines britischen Vaters in Nordirland geboren, wuchs in Hongkong auf und studierte zunächst Literaturwissenschaft an der Columbia University in New York, bevor sie ihre Gesangsausbildung an der Manhattan School of Music absolvierte. Mit großer Leidenschaft gestaltet sie Kammermusikprogramme und Liederabende, die vielfältigen Stimmen unterschiedlicher Kulturen Gehör verschaffen. Derzeit ist sie Artistic Partner des Orquesta Sinfónica del Principade de Asturias in Oviedo, wo sie über mehrere Spielzeiten hinweg mit verschiedenen Programmen zu Gast ist. Weitere Höhepunkte der aktuellen Saison sind Aufführungen von Mahlers Das Lied von der Erde unter der Leitung von Daniel Harding und Kent Nagano sowie Rollendebüts als Concepción in Ravels L’Heure Espagnole mit dem Barcelona Symphony Orchestra und als Comrade Chin/Shu Fang in Huang Ruos M. Butterfly am Barbican Centre in London. Liederabende führten sie u.a. in die Wigmore Hall, ins Concertgebouw Amsterdam (an der Seite ihres regelmäßigen künstlerischen Partners Julius Drake) sowie vor wenigen Wochen zusammen mit Kunal Lahiry auf Tournee durch die USA, wo sie ihr Debüt in der Weill Recital Hall der Carnegie Hall gab. Kürzlich erschien ihre erste Orchesteraufnahme mit Ravels Shéhérazade und Trois Poèmes de Mallarmé unter der Leitung von Ludovic Morlot. Im Pierre Boulez Saal war Fleur Barron erstmals im Februar 2024 als Solistin in George Benjamins Into the Little Hill mit der Staatskapelle Berlin zu erleben.
April 2025

Kunal Lahiry
Klavier
Der indisch-amerikanische Pianist Kunal Lahiry studierte Klavier an der McGill University im kanadischen Montréal sowie Liedgestaltung bei Wolfram Rieger an der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin. Er war BBC New Generation Artist sowie Stipendiat der Carl Bechstein Stiftung und der Heidelberger Frühling Liedakademie unter der Leitung von Thomas Hampson und wird derzeit als Britten–Pears Young Artist und von Yehudi Menuhin Live Music Now gefördert. Auftritte führten ihn in jüngerer Vergangenheit u.a. in die Wigmore Hall in London, das Kennedy Center in Washington, die Weill Recital Hall in der Carnegie Hall in New York, zum Festival d’Aix-en-Provence, zum Heidelberger Frühling, in die Philharmonie de Paris, zum Aldeburgh Festival und zum Ravinia Festival. Kunal Lahiry hat neue Werke u.a. von Nico Muhly, Errollyn Wallen, Héloïse Werner, Pablo Campos, Molly Joyce, Viktor Orri Árnason und Zachary Radler uraufgeführt und realisierte gemeinsam mit der isländischen Sopranistin und bildenden Künstlerin Álfheiður Erla Guðmundsdóttir das interdisziplinäre Videoprojekt Homescapes. Im Pierre Boulez Saal war er mehrfach im Rahmen der Schubert-Woche zu erleben.
April 2025