Misagh Joolaee Kamantsche
Schaghajegh Nosrati Klavier
Sebastian Flaig Percussion

Programm

From Afar (M. Joolaee)
Marmarameer (M. Joolaee)
Sharar (M. Joolaee)
Fantasie und Fuge (S. Nosrati)
Barcarole (S. Nosrati)
Be Hich Diyar (M. Joolaee)
Vashagh (M. Joolaee)

Pause

Negarin (M. Joolaee)
Mahjur (M. Joolaee)
Erzincan düz halayi (trad.)
Verdichtung (S. Flaig)
Fragile Balance (S. Flaig)
Shohud (M. Joolaee)

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Das Joolaee Trio  (© Irène Zandel)

Morgenwind

Der Morgenwind – Bad-e-Saba in Farsi – spielt in der persischen Lyrik eine bedeutende Rolle. Er weht aus Osten und soll nicht nur die Geheimnisse der Liebenden mit sich tragen, sondern auch eine befruchtende Wirkung haben und den Frühling bringen. Insofern verweist der Titel dieses Programms einerseits auf das zitierte Gedicht aus dem Divan des Hafis, das der Komposition Shohud von Misagh Joolaee als Inspiration diente, andererseits aber auch auf den Gedanken eines musikalischen „Frühlings“ oder Neuanfangs, der aus der Verbindung unterschiedlicher musikalischer Traditionen entsteht.

Morgenwind
Zum Programm des Joolaee Trios


Beide, der Morgenwind und ich,
sind zwei umherirrende Seelen;
ich bin berauscht vom Zauber deines Auges
und er vom Duft deiner Locken.

Hafis


Der Morgenwind – Bad-e-Saba in Farsi – spielt in der persischen Lyrik eine bedeutende Rolle. Er weht aus Osten und soll nicht nur die Geheimnisse der Liebenden mit sich tragen, sondern auch eine befruchtende Wirkung haben und den Frühling bringen. Insofern verweist der Titel dieses Programms einerseits auf das zitierte Gedicht aus dem Divan des Hafis, das der Komposition Shohud von Misagh Joolaee als Inspiration diente, andererseits aber auch auf den Gedanken eines musikalischen „Frühlings“ oder Neuanfangs, der aus der Verbindung unterschiedlicher musikalischer Traditionen entsteht.


From Afar
Dieses Stück für Solo-Kamantsche basiert auf dem Dastgāh (Modus) Shur, einem der sieben Modi des klassischen persischen Musikrepertoires Radif. Die eingesetzten Zupftechniken wurden von Misagh Joolaee von der Flamenco-Gitarre sowie der persischen Langhalslaute Setar auf die Kamantsche übertragen.

Marmarameer
Die Komposition entstand auf einer Reise nach Istanbul und in Erinnerung an das Marmarameer bzw. das Bosporus-Ufer im Stadtteil Kadiköy mit seinen alten Fischerbooten. Auf eine freie Improvisation folgt ein rhythmischer Teil im Siebenachteltakt. Die perkussiven Figuren des Anfangs sind inspiriert vom hölzernen Klang der am Ufer befestigten und in den Wellen zusammenstoßenden Boote. Die Wellen sind in Form zahlreicher Arpeggi ebenfalls zu hören. Die Perkussion setzt viele weitere klangmalerische Akzente. Das Marmarameer symbolisiert in besonderem Maße die Idee des Grenzgangs zwischen Ost und West, da es als Binnenmeer mit einer europäischen Nord- und einer asiatischen Südküste eine natürliche Verbindung zwischen den Kontinenten schafft.

Sharar
Der persische Titel („Feuerfunke“) verweist auf die Inspiration dieses Stücks durch die Feierlichkeiten rund um das persische Neujahrsfest Norouz, insbesondere auf Tschahar Shanbe Suri, ein Fest, das wenige Tage vor dem Jahreswechsel begangen wird. Dabei werden bei Sonnenuntergang Lagerfeuer angezündet, über die die Menschen springen, um böse Geister zu vertreiben und eine Art innerer Reinigung zu erfahren. Die Rituale rund um Norouz gehen auf den persischen Zarathustra-Kult zurück und stammen damit aus vorislamischer Zeit. Die Komposition ist im Modus Shur geschrieben, es finden aber auch Modulationen in andere persische Modi wie Isfahan und Mahur statt. Die Melodik hat stark volksliedhafte Züge, teils mit Anklängen an armenische Volksmusik. Die Rahmentrommel, die hier zu hören ist, erinnert an die Zarb e Zurkhane, eine traditionelle Tontrommel, die zur Begleitung antiker Sportarten in Persien eingesetzt wurde.

Fantasie und Fuge
Schaghajegh Nosratis Komposition liegt die Idee zugrunde, eine Verbindung zwischen dem persischen Modus Chahargah und der westlichen Fugentechnik zu schaffen und ein Spannungsfeld zwischen improvisatorischen und streng durchkomponierten Abschnitten entstehen zu lassen. Eine wichtige Inspiration bildet dabei Johann Sebastian Bach und insbesondere seine Chromatische Fantasie und Fuge. Für den Perkussionspart war ein melodisches Instrument erforderlich, das sich für die Exposition des Fugenthemas und die nachfolgenden Kontrasubjekte eignet, und so kam die Idee auf, eine Steinmarimba anfertigen zu lassen, ein selten gespieltes Instrument mit äußerst interessanten klanglichen Möglichkeiten. Die Klangstäbe bestehen aus Schiefer und können nicht nur angeschlagen, sondern auch mit Hilfe verschiedener Schlägel und Steine gestrichen werden.
Die Fantasie ist vollständig improvisiert und basiert wie die folgende vierstimmige Fuge auf dem Modus Chahargah. Es werden typische kontrapunktische Techniken wie Engführung, Augmentation und Diminution, verkürzte Expositionen usw. verwendet. Neben streng auskomponierten Themenexpositionen gibt es aber auch zwei Zwischenspiele, in denen das Improvisatorische größeren Raum einnimmt. Am Schluss erklingt die Tonfolge B-A-C-H.

Barcarole
Das Solowerk für Klavier basiert auf dem Volkslied Javoonay Ghaleye Pir aus Khorasan. Das Stück beginnt als schlichtes Siciliano im Sechsachteltakt, das im Mittelteil rhythmisch und harmonisch an Komplexität gewinnt und sich dem Jazz annähert, bevor es in eine fieberhafte Reminiszenz zurückführt. Eine Inspirationsquelle war Ernest Hemingways Der alte Mann und das Meer.

Be Hich Diyar
Dieses Stück, dessen Titel sich mit „keiner Heimat zugehörig“ übersetzen lässt, entstand im Kontext der Proteste im Iran nach der Ermordung von Mahsa Amini durch das islamische Regime. Ihr und den vielen mutigen Menschen, die sich unter Einsatz ihres Lebens für mehr Freiheit und Gleichberechtigung eingesetzt haben und immer noch einsetzen, ist diese Musik gewidmet. Ihr Grundklang ist durch den Einsatz der großen Rahmentrommel und der tiefen Register des Klaviers besonders dunkel gefärbt. Die ungerade Taktart von 13/8 wird durchweg beibehalten. Der Klavierpart beginnt mit archaisch wirkenden Quart- und Quintklängen und verdichtet sich im weiteren Verlauf immer mehr. Impressionistisch gefärbte Abschnitte im Klavier werden zunehmend dissonanter und münden in einen großen Ausbruch. Die darauffolgende Kamancheh-Linie ist von großer Fragilität und Einsamkeit gekennzeichnet und bereitet den choralhaften Abgesang im Klavier vor.

Vashagh
Der Einfluss der traditionellen anatolischen Musiksprache ist in dieser Komposition von Misagh Joolaee hörbar. Darüber hinaus wird mit variablen rhythmischen Synkopierungen in einer modalen Mischung aus den zwei persischen Dastgahs Nava und Shur experimentiert. Vashagh ist ein altes persisches Wort und bedeutet „fließend“ oder „vergänglich“.

Negarin
Das aus der persischen Lyrik stammende Wort Negarin hat unterschiedliche Bedeutungen: „Geliebte“, „verziert“ oder „ausgeschmückt“ sind einige davon. Angelehnt an die traditionsreiche Volksmusik aus Khorasan im Nordwesten Irans, beinhaltet dieses Stück für Kamantsche solo nicht nur die traditionelle Spieltechnik des Streichens der Saiten mit dem Bogen, sondern auch neue, von Misagh Joolaee entwickelte Spielweisen wie die Triolen-Zupftechnik, wirbelartige Bogentechnik, das vom Flamenco übernommene Rasgueado sowie von der persischen Perkussion abgeleitete Klopftechniken; außerdem kommen auch Doppelgriffe und Akkorde aus der klassischen europäischen Musik und gängige Jazzskalen zum Einsatz. Diese sind aber nie Selbstzweck, sondern dienen der Erweiterung der musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten auf der Kamantsche.

Mahjur
Der Titel bedeutet übersetzt „archaisch“, „verloren“ oder auch „einsam“. Die Komposition ist im Avaz Bayate Kord geschrieben und von der Idee einer Trauerprozession inspiriert, wie man sie häufig im Südiran antrifft. Als Perkussionsinstrumente werden die Davul (große Trommel) und die Steinmarimba eingesetzt. Im Klavier kommen mehrere E-Bows zum Einsatz, kleine Geräte, die auf die Saiten gelegt werden und diese mittels eines Magnetfelds zum Schwingen bringen – dadurch können Haltetöne erzeugt werden, die nicht verklingen.

Erzincan düz halayi
Dieses nach der Stadt Erzincan in der Osttürkei benannte Stück ist ein Arrangement eines türkischen Volkstanzes. Traditionell spielen dabei eine Davul und das bei Hochzeitszeremonien vielfach eingesetzte Blasinstrument Zurna zum Tanz auf. Das Stück steht durchgehend im Neunachteltakt, doch die Betonungsmuster werden oft variiert, was der Musik eine besondere Lebhaftigkeit verleiht. Die rhythmische Strenge wird lediglich in einem kurzen improvisatorischen Abschnitt des Klaviers durchbrochen. Als Perkussionsinstrument wird hauptsächlich die türkische Darbuka eingesetzt. Erzincan düz halayi ist dem Bağlama-Meister Levent Özdemir gewidmet, der Misagh Joolaee erstmals an diese Musik herangeführt hat.

Verdichtung
Sebastian Flaigs Komposition für Solo-Darbuka lebt von ihrer rhythmischen Mehrdeutigkeit: In der Überlagerung dreier unterschiedlicher Pulse verdichten sich die Möglichkeiten, wie die jeweilige Passage fortgesetzt werden kann. Diese Spannung entlädt sich in schnellen Wechseln; dabei wird auch der Weg des nicht gewählten Pulses innerlich weitergeführt und kann wieder aufgenommen werden – so entsteht ein Feld unterschiedlicher, sich gleichzeitig fortspinnender Entwicklungen, die improvisatorisch gestaltet werden.

Fragile Balance
Die Inspiration zu diesem Stück lieferte ein Presseartikel über die „Ausrottung der vier Plagen“ in China 1958. Mao Zedong hatte angeordnet, neben Ratten, Stechmücken und Fliegen auch alle Spatzen zu töten, was zu einer der Ursachen für die Große Chinesische Hungersnot wurde: Da die Heuschrecken so keine natürlichen Feinde mehr hatten, wurde fast die gesamte Ernte Chinas vernichtet. Die Komposition entstand unter dem Eindruck, wie stark wir Menschen mit allem Lebenden verbunden sind – in einem empfindlichen Gleichgewicht. Musikalischer Ausgangspunkt ist eine dreitaktige Phrase im Siebenachteltakt, deren Bassschwerpunkt sich verschiebt und mit einem einzigen Melodieton ein instabiles Gleichgewicht hält. Dieses Motiv wird in drei Teilen auf unterschiedliche Weise ausgestaltet.

Shohud
Das persische Wort Shohud bedeutet „Intuition“. Eine wichtige Inspiration für Misagh Joolaee war das Bild des Morgenwindes aus dem eingangs zitierten Gedicht von Hafis. Die Musik weist neben persischen und klassischen europäischen Einflüssen auch solche aus der armenischen Musik und dem Jazz auf. Das Stück in der Form A–B–A präsentiert sich als eine Art Passacaglia mit einem wiederkehrenden absteigenden Motiv, das insbesondere in den A-Teilen erklingt. Der Aspekt des „Intuitiv-Unberechenbaren“ ist dem B-Teil zuzuordnen, der mit einer polyrhythmischen Passage in der Kamantsche beginnt, welche dann sowohl dynamisch als auch in ihrer rhythmischen Komplexität immer weiter gesteigert wird. Ein neues Motiv wird von Kamantsche und Klavier zum Teil in verschiedenen Geschwindigkeiten präsentiert (ähnlich einer Stretta mit einer augmentierten Stimme in einer Fuge). Dazu spielt die Perkussion eine rhythmisch unabhängige Figuration. Nachdem der dynamische Höhepunkt erreicht ist, kehrt die Musik wieder zu der ostinaten Figur des Anfangs zurück. Schließlich kommt es zu einer weiteren Steigerung durch das Hinzutreten zweier (instrumental behandelter) Gesangsstimmen. Das Publikum ist an dieser Stelle herzlich eingeladen, die Melodie mitzusingen.

Morgenwind
Zum Programm des Joolaee Trios


Beide, der Morgenwind und ich,
sind zwei umherirrende Seelen;
ich bin berauscht vom Zauber deines Auges
und er vom Duft deiner Locken.

Hafis


Der Morgenwind – Bad-e-Saba in Farsi – spielt in der persischen Lyrik eine bedeutende Rolle. Er weht aus Osten und soll nicht nur die Geheimnisse der Liebenden mit sich tragen, sondern auch eine befruchtende Wirkung haben und den Frühling bringen. Insofern verweist der Titel dieses Programms einerseits auf das zitierte Gedicht aus dem Divan des Hafis, das der Komposition Shohud von Misagh Joolaee als Inspiration diente, andererseits aber auch auf den Gedanken eines musikalischen „Frühlings“ oder Neuanfangs, der aus der Verbindung unterschiedlicher musikalischer Traditionen entsteht.


From Afar
Dieses Stück für Solo-Kamantsche basiert auf dem Dastgāh (Modus) Shur, einem der sieben Modi des klassischen persischen Musikrepertoires Radif. Die eingesetzten Zupftechniken wurden von Misagh Joolaee von der Flamenco-Gitarre sowie der persischen Langhalslaute Setar auf die Kamantsche übertragen.

Marmarameer
Die Komposition entstand auf einer Reise nach Istanbul und in Erinnerung an das Marmarameer bzw. das Bosporus-Ufer im Stadtteil Kadiköy mit seinen alten Fischerbooten. Auf eine freie Improvisation folgt ein rhythmischer Teil im Siebenachteltakt. Die perkussiven Figuren des Anfangs sind inspiriert vom hölzernen Klang der am Ufer befestigten und in den Wellen zusammenstoßenden Boote. Die Wellen sind in Form zahlreicher Arpeggi ebenfalls zu hören. Die Perkussion setzt viele weitere klangmalerische Akzente. Das Marmarameer symbolisiert in besonderem Maße die Idee des Grenzgangs zwischen Ost und West, da es als Binnenmeer mit einer europäischen Nord- und einer asiatischen Südküste eine natürliche Verbindung zwischen den Kontinenten schafft.

Sharar
Der persische Titel („Feuerfunke“) verweist auf die Inspiration dieses Stücks durch die Feierlichkeiten rund um das persische Neujahrsfest Norouz, insbesondere auf Tschahar Shanbe Suri, ein Fest, das wenige Tage vor dem Jahreswechsel begangen wird. Dabei werden bei Sonnenuntergang Lagerfeuer angezündet, über die die Menschen springen, um böse Geister zu vertreiben und eine Art innerer Reinigung zu erfahren. Die Rituale rund um Norouz gehen auf den persischen Zarathustra-Kult zurück und stammen damit aus vorislamischer Zeit. Die Komposition ist im Modus Shur geschrieben, es finden aber auch Modulationen in andere persische Modi wie Isfahan und Mahur statt. Die Melodik hat stark volksliedhafte Züge, teils mit Anklängen an armenische Volksmusik. Die Rahmentrommel, die hier zu hören ist, erinnert an die Zarb e Zurkhane, eine traditionelle Tontrommel, die zur Begleitung antiker Sportarten in Persien eingesetzt wurde.

Fantasie und Fuge
Schaghajegh Nosratis Komposition liegt die Idee zugrunde, eine Verbindung zwischen dem persischen Modus Chahargah und der westlichen Fugentechnik zu schaffen und ein Spannungsfeld zwischen improvisatorischen und streng durchkomponierten Abschnitten entstehen zu lassen. Eine wichtige Inspiration bildet dabei Johann Sebastian Bach und insbesondere seine Chromatische Fantasie und Fuge. Für den Perkussionspart war ein melodisches Instrument erforderlich, das sich für die Exposition des Fugenthemas und die nachfolgenden Kontrasubjekte eignet, und so kam die Idee auf, eine Steinmarimba anfertigen zu lassen, ein selten gespieltes Instrument mit äußerst interessanten klanglichen Möglichkeiten. Die Klangstäbe bestehen aus Schiefer und können nicht nur angeschlagen, sondern auch mit Hilfe verschiedener Schlägel und Steine gestrichen werden.
Die Fantasie ist vollständig improvisiert und basiert wie die folgende vierstimmige Fuge auf dem Modus Chahargah. Es werden typische kontrapunktische Techniken wie Engführung, Augmentation und Diminution, verkürzte Expositionen usw. verwendet. Neben streng auskomponierten Themenexpositionen gibt es aber auch zwei Zwischenspiele, in denen das Improvisatorische größeren Raum einnimmt. Am Schluss erklingt die Tonfolge B-A-C-H.

Barcarole
Das Solowerk für Klavier basiert auf dem Volkslied Javoonay Ghaleye Pir aus Khorasan. Das Stück beginnt als schlichtes Siciliano im Sechsachteltakt, das im Mittelteil rhythmisch und harmonisch an Komplexität gewinnt und sich dem Jazz annähert, bevor es in eine fieberhafte Reminiszenz zurückführt. Eine Inspirationsquelle war Ernest Hemingways Der alte Mann und das Meer.

Be Hich Diyar
Dieses Stück, dessen Titel sich mit „keiner Heimat zugehörig“ übersetzen lässt, entstand im Kontext der Proteste im Iran nach der Ermordung von Mahsa Amini durch das islamische Regime. Ihr und den vielen mutigen Menschen, die sich unter Einsatz ihres Lebens für mehr Freiheit und Gleichberechtigung eingesetzt haben und immer noch einsetzen, ist diese Musik gewidmet. Ihr Grundklang ist durch den Einsatz der großen Rahmentrommel und der tiefen Register des Klaviers besonders dunkel gefärbt. Die ungerade Taktart von 13/8 wird durchweg beibehalten. Der Klavierpart beginnt mit archaisch wirkenden Quart- und Quintklängen und verdichtet sich im weiteren Verlauf immer mehr. Impressionistisch gefärbte Abschnitte im Klavier werden zunehmend dissonanter und münden in einen großen Ausbruch. Die darauffolgende Kamancheh-Linie ist von großer Fragilität und Einsamkeit gekennzeichnet und bereitet den choralhaften Abgesang im Klavier vor.

Vashagh
Der Einfluss der traditionellen anatolischen Musiksprache ist in dieser Komposition von Misagh Joolaee hörbar. Darüber hinaus wird mit variablen rhythmischen Synkopierungen in einer modalen Mischung aus den zwei persischen Dastgahs Nava und Shur experimentiert. Vashagh ist ein altes persisches Wort und bedeutet „fließend“ oder „vergänglich“.

Negarin
Das aus der persischen Lyrik stammende Wort Negarin hat unterschiedliche Bedeutungen: „Geliebte“, „verziert“ oder „ausgeschmückt“ sind einige davon. Angelehnt an die traditionsreiche Volksmusik aus Khorasan im Nordwesten Irans, beinhaltet dieses Stück für Kamantsche solo nicht nur die traditionelle Spieltechnik des Streichens der Saiten mit dem Bogen, sondern auch neue, von Misagh Joolaee entwickelte Spielweisen wie die Triolen-Zupftechnik, wirbelartige Bogentechnik, das vom Flamenco übernommene Rasgueado sowie von der persischen Perkussion abgeleitete Klopftechniken; außerdem kommen auch Doppelgriffe und Akkorde aus der klassischen europäischen Musik und gängige Jazzskalen zum Einsatz. Diese sind aber nie Selbstzweck, sondern dienen der Erweiterung der musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten auf der Kamantsche.

Mahjur
Der Titel bedeutet übersetzt „archaisch“, „verloren“ oder auch „einsam“. Die Komposition ist im Avaz Bayate Kord geschrieben und von der Idee einer Trauerprozession inspiriert, wie man sie häufig im Südiran antrifft. Als Perkussionsinstrumente werden die Davul (große Trommel) und die Steinmarimba eingesetzt. Im Klavier kommen mehrere E-Bows zum Einsatz, kleine Geräte, die auf die Saiten gelegt werden und diese mittels eines Magnetfelds zum Schwingen bringen – dadurch können Haltetöne erzeugt werden, die nicht verklingen.

Erzincan düz halayi
Dieses nach der Stadt Erzincan in der Osttürkei benannte Stück ist ein Arrangement eines türkischen Volkstanzes. Traditionell spielen dabei eine Davul und das bei Hochzeitszeremonien vielfach eingesetzte Blasinstrument Zurna zum Tanz auf. Das Stück steht durchgehend im Neunachteltakt, doch die Betonungsmuster werden oft variiert, was der Musik eine besondere Lebhaftigkeit verleiht. Die rhythmische Strenge wird lediglich in einem kurzen improvisatorischen Abschnitt des Klaviers durchbrochen. Als Perkussionsinstrument wird hauptsächlich die türkische Darbuka eingesetzt. Erzincan düz halayi ist dem Bağlama-Meister Levent Özdemir gewidmet, der Misagh Joolaee erstmals an diese Musik herangeführt hat.

Verdichtung
Sebastian Flaigs Komposition für Solo-Darbuka lebt von ihrer rhythmischen Mehrdeutigkeit: In der Überlagerung dreier unterschiedlicher Pulse verdichten sich die Möglichkeiten, wie die jeweilige Passage fortgesetzt werden kann. Diese Spannung entlädt sich in schnellen Wechseln; dabei wird auch der Weg des nicht gewählten Pulses innerlich weitergeführt und kann wieder aufgenommen werden – so entsteht ein Feld unterschiedlicher, sich gleichzeitig fortspinnender Entwicklungen, die improvisatorisch gestaltet werden.

Fragile Balance
Die Inspiration zu diesem Stück lieferte ein Presseartikel über die „Ausrottung der vier Plagen“ in China 1958. Mao Zedong hatte angeordnet, neben Ratten, Stechmücken und Fliegen auch alle Spatzen zu töten, was zu einer der Ursachen für die Große Chinesische Hungersnot wurde: Da die Heuschrecken so keine natürlichen Feinde mehr hatten, wurde fast die gesamte Ernte Chinas vernichtet. Die Komposition entstand unter dem Eindruck, wie stark wir Menschen mit allem Lebenden verbunden sind – in einem empfindlichen Gleichgewicht. Musikalischer Ausgangspunkt ist eine dreitaktige Phrase im Siebenachteltakt, deren Bassschwerpunkt sich verschiebt und mit einem einzigen Melodieton ein instabiles Gleichgewicht hält. Dieses Motiv wird in drei Teilen auf unterschiedliche Weise ausgestaltet.

Shohud
Das persische Wort Shohud bedeutet „Intuition“. Eine wichtige Inspiration für Misagh Joolaee war das Bild des Morgenwindes aus dem eingangs zitierten Gedicht von Hafis. Die Musik weist neben persischen und klassischen europäischen Einflüssen auch solche aus der armenischen Musik und dem Jazz auf. Das Stück in der Form A–B–A präsentiert sich als eine Art Passacaglia mit einem wiederkehrenden absteigenden Motiv, das insbesondere in den A-Teilen erklingt. Der Aspekt des „Intuitiv-Unberechenbaren“ ist dem B-Teil zuzuordnen, der mit einer polyrhythmischen Passage in der Kamantsche beginnt, welche dann sowohl dynamisch als auch in ihrer rhythmischen Komplexität immer weiter gesteigert wird. Ein neues Motiv wird von Kamantsche und Klavier zum Teil in verschiedenen Geschwindigkeiten präsentiert (ähnlich einer Stretta mit einer augmentierten Stimme in einer Fuge). Dazu spielt die Perkussion eine rhythmisch unabhängige Figuration. Nachdem der dynamische Höhepunkt erreicht ist, kehrt die Musik wieder zu der ostinaten Figur des Anfangs zurück. Schließlich kommt es zu einer weiteren Steigerung durch das Hinzutreten zweier (instrumental behandelter) Gesangsstimmen. Das Publikum ist an dieser Stelle herzlich eingeladen, die Melodie mitzusingen.

Das Ensemble

Joolaee Trio

Das Joolaee Trio entstand 2021 aus der langjährigen Zusammenarbeit zwischen dem Kamantsche-Virtuosen Misagh Joolaee und seinen Duopartner:innen Schaghajegh Nosrati (Klavier) und Sebastian Flaig (Schlaginstrumente). Sein Debüt gab das Ensemble im folgenden Jahr beim Rudolstadt Festival, seitdem gastierte es u.a. im Sendesaal Bremen, beim Schleswig-Holstein Musik Festival, beim Heidelberger Frühling und beim Jazz Meets World Festival in Prag.

Misagh Joolaee wuchs in der nordiranischen Provinz Mazandaran auf und erlernte zunächst Violine, Setar, Tar und Kamantsche bei verschiedenen iranischen Meistern. Später erhielt er auch eine Violin- und Klavierausbildung in der klassischen europäischen Musiktradition. Heute arbeitet er mit einer Vielzahl von Künstler:innen aus unterschiedlichen Traditionen und Ländern. Auftritte führten ihn u.a. zum Staatsorchester Braunschweig, zur Cappella Amsterdam und an die Deutsche Oper Berlin. Bislang veröffentlichte er drei Alben, die sämtlich mit dem Preis der deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet wurden.

Schaghajegh Nosrati studierte Klavier an der Musikhochschule Hannover und bei Sir András Schiff an der Barenboim-Said Akademie, wo sie seit 2020 auch unterrichtet. Sie hat sich international als äußerst vielseitige Interpretin etabliert und gastierte u.a. beim Lucerne Festival, dem Klavier-Festival Ruhr, im Gewandhaus Leipzig, dem Konzerthaus und der Philharmonie in Berlin sowie am New Yorker Lincoln Center. Im Pierre Boulez Saal interpretierte sie zuletzt Bachs Wohltemperiertes Klavier; später in dieser Saison kehrt sie für einen Soloabend mit Werken von Bartók, Haydn und Charles Valentin Alkan zurück.

Der gebürtige Freiburger Sebastian Flaig studierte Schlaginstrumente sowie Jazzschlagzeug und -komposition an der Musikhochschule Leipzig und vervollständigte seine Ausbildung durch Studienaufenthalte u.a. bei Misirli Ahmet in Istanbul. Er arbeitet in einer Vielzahl von Genres von Jazz bis zu Alter Musik mit Künstler:innen wie dem Taner Akyol Trio, Maya Youssef oder dem Ensemble Resonanz zusammen und nahm zusammen mit Misagh Joolaee die beiden preisgekrönten Alben Ferne und Qanat auf. Außerdem komponiert er für Film und Fernsehen.

November 2024

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