HK Gruber Gesang und Rezitation
Kirill Gerstein Klavier
Kristina Georgieva Violine (Barenboim-Said Akademie)
Eesa Khoury Violine (Barenboim-Said Akademie)
Jimin Jang Viola (Hochschule für Musik Hanns Eisler)
Alexander Kovalev Violoncello
Programm
Werke von
Kurt Weill
Hanns Eisler
Arnold Schönberg
Kurt Schwertsik
Kurt Weill (1900–1950)
Berlin im Licht (1928) (Weill)
Hanns Eisler (1898–1962)
Ballade von der Krüppelgarde op. 18 Nr. 1 (1929–30) (Weber)
Rückkehr zur Natur (1959) (Tucholsky)
Kurt Weill
Bilbao-Song
aus Happy End (1929) (Brecht)
Zu Potsdam Unter den Eichen
aus Das Berliner Requiem (1928) (Brecht)
Hanns Eisler
Zeitungsausschnitte op. 11 (1925)
I. Mariechen
II. Kinderlied aus dem Wedding
III. Heiratsannonce (Liebeslied eines Kleinbürgermädchens)
IV. Kriegslied eines Kindes
V. Mutter und Vater – Der Tod – Die Sünde
VI. Heiratsannonce (Liebeslied eines Grundbesitzers)
VII. Der Feldprediger (Aus einer Romanbeilage)
VIII. Frühlingsrede an einen Baum im Hinterhaushof
Kurt Weill
Song von Mandelay
aus Happy End
Hanns Eisler
Ballade von den Säckeschmeißern op. 22 Nr. 4 (1930) (J. Arendt)
Pause
Kurt Weill
Lied von der Unzulänglichkeit menschlichen Strebens
aus Die Dreigroschenoper (1928) (Brecht / Hauptmann)
Hanns Eisler
Aberglauben-Couplet
aus der Bühnenmusik zu Johann Nestroys Höllenangst (1948)
Des is a politischer Herr
aus der Bühnenmusik zu Johann Nestroys Eulenspiegel (1953)
Kurt Schwertsik (*1935)
da uhu schaud me so draurech au
Sieben Wienerlieder nach Gedichten von H. C Artmann op. 20 (1979)
I. da uhu
II. en da nocht
III. frog me ned
IV. aum eagxtn
V. zwa groschn
VI. pfäu
VII. fola feigaln
Kurt Weill
Song of the Rhineland (Ira Gershwin)
aus dem Film Where Do We Go from Here? (1944)
Arnold Schönberg (1874–1951)
Ode to Napoleon Buonaparte
für Sprecher, Klavier und Streichquartett op. 41 (1942) (Byron)
Hanns Eisler
Rosen auf den Weg gestreut (1959) (Tucholsky)
Hanns Eisler (links) und Bertolt Brecht in Berlin, 1950
„Komm, mach mal Licht“
1928 bat das Berliner Tageblatt Prominente zu einem pädagogischen Gastspiel in eine imaginäre Schulklasse von Zwölfjährigen. Auch Kurt Weill beteiligte sich an dem Experiment und machte seinen Schützlingen sogleich klar: „Aufschreiben! Die Zeit der Götter und Helden ist vorbei.“ Außerdem lehrte Weill seine Schüler, dass die Musik schlichtweg keine Daseinsberechtigung mehr habe, wenn sie sich nicht in den Dienst der Allgemeinheit stelle. Zu den Lesern des Artikels gehörte auch Arnold Schönberg, der wütend an den Rand schrieb: „Am Ende werden alle diese gemeinschaftsorientierten Komponisten ihre Idiotien nur noch untereinander adressieren.“
Werkeinführung von Wolfgang Stähr
„Komm, mach mal Licht“
Musik aus Berlin, Musik aus Wien, Musik im Exil
Wolfgang Stähr
Für seine Weihnachtsausgabe im Jahr 1928 bat das Berliner Tageblatt Prominente zu einem pädagogischen Gastspiel in eine imaginäre Schulklasse von Zwölfjährigen. Heinrich Mann, Annette Kolb, Alfred Kerr und Otto Klemperer beteiligten sich an diesem Experiment. Aber auch Kurt Weill, der seinen Schützlingen sogleich klarmachte: „Aufschreiben! Die Zeit der Götter und Helden ist vorbei.“ Was sollten sie noch mit Feuerzauber, Waldweben und Gralsrittern anfangen? „Ihr beschäftigt euch lieber mit technischen Fragen, mit Flugzeugen, Autos, Radioanlagen und Brückenbauten, und als Lektüre zieht ihr die Sportberichte vor.“ Außerdem lehrte Weill seine Schüler („intelligente Großstadtjungens“, wie sich das Tageblatt ausmalte), dass die Musik schlichtweg keine Daseinsberechtigung mehr habe, wenn sie sich nicht in den Dienst der Allgemeinheit stelle: „Aufschreiben! Die Musik ist nicht mehr eine Sache der Wenigen.“ Zu den Lesern dieses Weihnachtsartikels gehörte auch Arnold Schönberg, der wütend an den Rand schrieb: „Am Ende werden alle diese gemeinschaftsorientierten Komponisten ihre Idiotien nur noch untereinander adressieren.“
Für Kurt Weill aber ging ein ganz und gar nicht idiotisches Jahr zu Ende, das ihm mit der Uraufführung der Dreigroschenoper einen uferlosen Publikumserfolg am Schiffbauerdamm beschert hatte, obendrein eine neue Wohnung mit seiner Frau, der Wiener Schauspielerin und Sängerin Lotte Lenya, und nebenbei auch noch einen attraktiven Auftrag des Magistrats: für das „Berlin im Licht“-Fest einen Song zu schreiben, einen Foxtrott, der von einer Blaskapelle auf dem Wittenbergplatz gespielt und beim „Lichtball“ in der Krolloper von dem Kabarettisten Paul Graetz gesungen wurde: „Komm, mach mal Licht, damit man sehn kann, ob was da ist.“ Wurde ihm diese Popularität unheimlich? Ging ihm das zu weit? Durchaus nicht. „Dass meine Musik zur Dreigroschenoper industrialisiert worden ist, spricht ja […] nicht gegen sondern für sie, und wir würden in unsere alten Fehler zurückfallen, wenn wir einer Musik ihren künstlerischen Wert und ihre Bedeutung absprechen würden, nur weil sie den Weg zur Menge gefunden hat.“
Deswegen sah er auch nicht ein, dass irgendetwas dagegenspräche, ein Requiem für den Rundfunk zu komponieren, nicht für die Kirche: sein Berliner Requiem, das er ebenfalls noch 1928 (vorläufig) vollendete. „Der Rundfunk stellt den ernsten Musiker unserer Zeit zum ersten Male vor die Aufgabe, Werke zu schaffen, die ein möglichst großer Kreis von Hörern aufnehmen kann“, erklärte Weill. „Der Titel ‚Das Berliner Requiem‘ ist keineswegs ironisch gemeint, sondern wir wollten versuchen, das über den Tod auszusagen, was der großstädtische Mensch zu diesem Thema empfindet. Das ganze ist eine Folge von Totenliedern, Gedenktafeln und Grabschriften, also doch etwas wie ein weltliches Requiem.“ Der unverhohlen höhnische Antimilitarismus, die Preußenparodie und sarkastische Absage an jede Kriegsverherrlichung und Heldenverehrung kamen beim Funk allerdings gar nicht gut an, weshalb das Werk nur einmalig gegeben und längst nicht von allen Sendern ausgestrahlt wurde.
Lieder der großen Städte
Den „Weg zur Menge“ wählte Hanns Eisler ausdrücklich nicht, als er Mitte der zwanziger Jahre Zeitungsausschnitte vertonte, Heiratsannoncen, Kriegslieder, Kinderreime, Parodien: „Das war ein Protest vor allem gegen das, was ich die bürgerliche Konzertlyrik nannte, über die ich mich lustig machte. Das hob sich insofern heraus, wenn man bedenkt, was für Lieder in der damaligen Zeit Schönberg komponiert hatte, Anton Webern, der Alban Berg oder meine Kollegen Křenek oder Hindemith.“ Dennoch widmete er diese Sammlung der Sopranistin Margot Hinnenberg-Lefèbre, die vorzugsweise als Interpretin Arnold Schönbergs auftrat und gleichwohl die Uraufführung der Zeitungsausschnitte sang, am 11. Dezember 1927 in Berlin: in einem Programm zwischen Schönbergs Drittem Streichquartett und Alban Bergs Lyrischer Suite. Hanns Eisler überkam nie das Bedürfnis, die Größe seines Lehrers, Mentors und Förderers Arnold Schönberg zu leugnen, dessen Privatunterricht er bis 1923 in Wien empfangen hatte, unentgeltlich nebst freier Kost und Logis und unbezahlbarer Vernetzung mit dem avancierten Musikleben. „Hochverehrter Meister! Sie haben sich jahrelang geplagt und geärgert mit mir. Wenn etwas brauchbares aus mir werden wird, habe ich das nur Ihnen zu verdanken!“, versicherte Eisler seinem künstlerischen Ziehvater, den er im gemeinsamen amerikanischen Exil in Los Angeles wiedertreffen sollte (und dem er auch später in den „Formalismus“-Debatten der DDR niemals abschwor).
Schönberg missbilligte vor allem Eislers politische Aktivitäten: „Wissen Sie, Eisler, den Sozialismus kann ich Ihnen nicht abgewöhnen, aber die Zeit wird es abgewöhnen. Wenn Sie zum ersten Mal in Ihrem Leben zwei anständige Mahlzeiten im Tag haben werden und drei gute Anzüge und etwas Taschengeld, dann werden Sie auch den Sozialismus sich abgewöhnen.“ Schönberg konnte sich gar nicht darüber beruhigen, „daß erwachsene Menschen, Musiker, Künstler, die wahrhaftig Besseres zu sagen haben sollten, sich mit Weltverbesserungstheorien einlassen, obwohl man ja aus der Geschichte wissen kann, wie all das ausgeht“. Eislers Zeitungsausschnitte op. 11, die vermeintliche Protestlyrik, erweisen sich jedenfalls als ziemlich avantgardistisch in ihrem Sekundenstil, der ungehemmten musikalischen Prosa, dem Übergang von Gesang zu Geschrei, dem zerklüfteten Tonsatz, der Schlagseite zum Surrealismus, bei aller Sozialkritik und abschließenden Belehrung. „Nun, volkstümlich sind diese Lieder nicht. Sie sind auch nicht, was man Volksmusik nennt. Sie sind absolut Lieder der großen Städte, und für sie auch geplant gewesen. Sie schockierten das Publikum bei der ersten Aufführung ganz enorm.“
Diese Barbaren
Kurt Weills Musik für das Theater hingegen, seine schmissige, doppelbödige, politische und provokante, aber niemals und unter keinen Umständen langweilige Musik, die er sich für die Stücke von Bertolt Brecht (und Elisabeth Hauptmann) einfallen ließ, für die Dreigroschenoper, Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny, Happy End – sie wurde umjubelt und gefeiert, allerorten gesungen, gespielt, getanzt, nachgedruckt, für Hausmusik und Salonorchester arrangiert, sie wurde auf den Straßen gesummt und gepfiffen. Aber sie wurde auch ausgepfiffen. Mit dem Niedergang der Weimarer Republik begann in den Theatern die Zeit der gezielten Störaktionen und organisierten Skandale, der publizistischen Hetzkampagnen und öffentlichen Gewaltandrohungen: der Anfang vom Ende. Im März 1933 wurde zum vorläufig letzten Mal eine Komposition von Kurt Weill in Deutschland aufgeführt; der Komponist selbst trat noch im gleichen Monat die Flucht ins Ausland an.
Als Sohn eines jüdischen Kantors aus Dessau wäre er im vom Rassenwahn befallenen Deutschland ohnehin nicht mehr seines Lebens sicher gewesen, doch beschimpfte man ihn obendrein als Vertreter der „Entarteten Musik“ und des „Kulturbolschewismus“. Die nationalsozialistische Propaganda hielt ihm vor, mit „Dirnengesängen“ das deutsche Volk zu verderben und im Verbund mit Brecht zum kommunistischen Klassenhass aufzustacheln. Obgleich Weill in den USA mit Opern und Broadway- Musicals, mit Film- und Schauspielmusiken an die Berliner Erfolgsgeschichte anknüpfen konnte, blieb er zutiefst verbittert und lehnte es bis zu seinem frühen Tod mit 50 Jahren ab, sich noch als „deutscher Komponist“ bezeichnen zu lassen. Niemals zuvor habe ein Volk seine demütigende Niederlage so verdient wie das deutsche im Zweiten Weltkrieg: „wie diese Barbaren, die es sich angemaßt haben, alles Gute und Anständige zerstören zu dürfen, was der Mensch durch Jahrtausende aufgebaut hat“.
Gegen Tyrannei
„Wozu aber soll der Antisemitismus führen, wenn nicht zu Gewalttaten? Ist es so schwer, sich das vorzustellen?“, hatte Arnold Schönberg bereits 1923 gefragt, zehn Jahre, bevor er ohne Zögern den Weg ins Exil wählte und in die USA emigrierte. Im März 1942 begann Schönberg dort mit einem Auftragswerk der League of Composers, einer Kammermusik, die zum politischen Manifest wurde: „Ich hatte sofort die Idee, dass dieses Stück die bei den Menschen erwachte Aufruhr gegen die Verbrecher, die diesen Krieg hervorgerufen haben, nicht ignorieren dürfe. Ich dachte an Mozarts Hochzeit des Figaro, welche die Aufhebung des ‚jus primae noctis‘ unterstützte, an Schillers Wilhelm Tell, Goethes Egmont, Beethovens Eroica und Wellingtons Sieg, und ich wusste, dass es eine moralische Pflicht der Gebildeten war, gegen Tyrannei Widerstand zu leisten.“
Schönberg wählte zu diesem Zweck die Ode to Napoleon Buonaparte aus, die Lord Byron 1814, nach der erzwungenen Abdankung des „Empereur des Français“ verfasst hatte, eine Verhöhnung des gefallenen Idols und mit ihm des imperialen Größenwahns. Schönberg las das Gedicht kurzentschlossen als Prophetie auf Hitler und die Gegenwart und vertonte es für einen Rezitator, dessen notierte Sprechmelodien sich am rhetorischen Duktus Winston Churchills orientierten, aber auch an Traditionen des romantischen Melodrams, des expressionistischen Theaters und des Berliner Kabaretts. Scharfzüngig und überpointiert wie der Solopart fiel auch der instrumentale Satz für Streichquartett und Klavier aus, der die Rezitation des englischen Wortlauts „ununterbrochen untermalt, unterstreicht und illustriert“, wie Schönberg betonte. Zitate der Marseillaise und des Victory-Zeichens (kurz – kurz – kurz – lang) aus Beethovens Fünfter rücken die Musik vor den Zeithorizont der großen Freiheitskämpfe. Schönbergs Zwölftonkomposition schließt frappierend in Es-Dur, der Tonart von Beethovens Dritter Symphonie, die bekanntlich ebenfalls mit Napoleon zu tun hat und, zumindest der Legende nach, mit der Verachtung des Herrscherkultes.
Hanns Eisler wurde gleich zweimal vertrieben, aus Deutschland fort, nach Deutschland zurück: ein Emigrant, ein Remigrant. „Ich verlasse dieses Land nicht ohne Bitternis und Zorn“, ließ er alle Welt wissen, nachdem ihn das „Komitee für unamerikanische Aktivitäten“ der USA verwiesen hatte. „Ich konnte es gut verstehen, als 1933 die Hitlerbanden einen Preis auf meinen Kopf aussetzten“, bekannte Eisler. „Sie waren das Übel der Epoche, ich war stolz darauf, vertrieben worden zu sein. Aber ich fühle mich betroffen davon, auf derart lächerliche Weise aus diesem wunderbaren Land verstoßen zu werden.“ Der Untersuchungsausschuss behandelte ihn wie einen Staatsfeind, den „Karl Marx der Musik“, wie einen Verschwörer in einem kommunistischen Komplott. Nach einem Zwischenspiel in Wien, wo er für das Neue Theater in der Scala, eine dezidiert linke, selbstverwaltete Schauspielerbühne, mit untrüglichem Gespür die Musik zu Johann Nestroys Possen Höllenangst und Eulenspiegel schrieb, ganz in seinem Element und als habe er sein Leben lang nichts anderes komponiert: nach diesem Wiener Intermezzo kam Hanns Eisler 1949 wieder nach Deutschland (in das „andere Deutschland“), kam sogar nach Berlin zurück (nach „Ostberlin“), wo er eine Professur innehatte an der Hochschule, die heute seinen Namen trägt, und als Komponist der DDR-Nationalhymne einen Nachruhm begründete, der ihm nicht Unrecht tut und andererseits doch überhaupt nicht gerecht wird. Kurt Tucholskys Gedicht Rückkehr zur Natur aus dem Jahr 1922 („Man darf schon wieder brüll’n und feste kommandieren, wenn man Beamter ist. Der Untertan darf stramm stehn und parieren, weil er ein Deutscher ist.“) vertonte er jedenfalls nicht „zeitnah“ in der Weimarer, sondern skeptisch und distanziert in der Deutschen Demokratischen Republik, im Jahr 1959.
Zum Guten oder zum Bösen?
Nur mit Grausen erinnerte sich Schönberg im Exil an seine verlorene Heimat. Und dichtete sogar eine bitterböse Persiflage auf das Lied Wien, Wien, nur du allein: „Du sollst von allen verachtet sein! / Andern mag, wer’s kann, verzeihn, / Dich wird man nie von der Schuld befrein. / Du sollst zugrunde gehen, / Nur deine Schande soll weiterbestehn. / Du bist gebrandmarkt in Ewigkeit / Für Falschheit und Scheinheiligkeit.“ Zur selben Zeit, um das Jahr 1940, versuchte Schönberg vergeblich seinen ehemaligen Schüler Josef Polnauer aus Österreich zu retten, der nur versteckt im Untergrund überleben konnte. Vielleicht hätte es Schönberg versöhnlich gestimmt, hätte er noch Polnauers späteren Studenten Kurt Schwertsik und dessen kitsch- und klischeefreie Wienerlieder kennengelernt: die „7 winaliada auf gedichta fon H. C. Artmann“ aus dem Jahr 1969, „ein kleiner Zyklus, in dessen Verlauf der Sänger langsam aus den Tiefen der Verzweiflung über enttäuschte Liebe emporsteigt“, wie der Komponist verrät. Der Wiener Schwertsik, der vor wenigen Wochen seinen 90. Geburtstag feiern konnte, gründete 1958 gemeinsam mit Friedrich Cerha das Ensemble „die reihe“ (dessen künstlerische Leitung später HK Gruber übernehmen sollte), besuchte Kurse bei Stockhausen, Boulez und Maderna, verdarb es sich aber frühzeitig mit der Darmstädter Avantgarde und rief 1968 die „MOB art & tone ART“ ins Leben (zusammen mit Gruber und Otto M. Zykan). Es ging ihm um „Ausgelassenheit“ und „Respektlosigkeit“, wie er sagt. „Heute weiß ich, dass ich im Grunde Künstler suchte, die Satie, Ives, Schwitters, Wittgenstein und Gandhi in einer Person sind. Ich suchte die Einheit von Leben und Werk, den Künstler, dessen Arbeit nicht nur Teil der Arbeit ist.“ Das Komponieren begreift Kurt Schwertsik als eine Fähigkeit, „Menschen zu bewegen“. Aber wozu, wofür, wohin? „Die Frage, ob ein Komponist diese Kraft zum Guten oder zum Bösen nützt, ist nicht ganz nebensächlich.“
Wolfgang Stähr, geboren 1964 in Berlin, verfasste Buchbeiträge über Haydn, Beethoven, Schubert und Mahler. Er schreibt Artikel, Essays und Werkkommentare für die Festspiele in Salzburg, Luzern, Grafenegg, Würzburg und Dresden, Orchester wie die Berliner und die Münchner Philharmoniker, den Bayerischen Rundfunk und die Neue Zürcher Zeitung.
Kurt Schwertsik (© Alexander Schlee)
Where Do We Go from Here?
HK Gruber has been performing most of the repertoire on tonight’s program for almost 40 years, through which time it has changed, darkened. What is caustic and edgy in these songs may easily seem to be aimed at our dangerous present. Not the least irony, in music full of it, is that we may still feel we are having fun.
Essay by Paul Griffiths
Where Do We Go from Here?
Songs of War, Satire, and Resilience
Paul Griffiths
Nostalgia Is Not What It Used to Be
HK “Nali” Gruber—to give him the nickname by which he is widely and affectionately known—has been performing most of the repertoire on tonight’s program for almost 40 years, through which time it has changed, darkened. In the 1980s, we could all share vicariously in the fondness an older generation felt for the songs of their youth. Now that generation has passed. Their music, though, has come closer, as the world has settled more and more into a replay of the 1920s, with the arrival again of right-wing dictatorships, economic collapse, and grotesque wealth for a very few created by a new technology (film back then). What is caustic and edgy in these songs may easily seem to be aimed at our dangerous present. If so, the songs from the 1940s in this evening’s second half might intensify the warning. Not the least irony, in music full of it, is that we may still feel we are having fun.
Berlin 1925–30
For a few days in the middle of October 1928, Berlin, the third largest city in the world after New York and London, staged itself at the apex of modernity. “Berlin im Licht” (Berlin in Lights) was a festival of electric light that made those autumn evenings dazzling by means of not only the regular streetlamps but also arrays of bulbs draped over public buildings (such as the dome of St. Hedwig’s Cathedral, not far from the Pierre Boulez Saal) and floodlights. Kurt Weill, whose score for Die Dreigroschenoper had been heard for the first time only six weeks before, came up with a slow foxtrot for military band to be played at the opening event, and the piece was repeated, now as a song with wry words by Weill himself, at the closing ball. The singer was Paul Graetz, a popular actor and cabaret performer, and it was for his kind of singing, strong on words, that tonight’s music was composed.
Weill (but not Brecht) was a member of the November Group, an association of leftist artists formed in Berlin soon after the end of World War I. Also a member, Hanns Eisler was more politically engaged than Weill, if less so than his elder siblings Ruth and Gerhart. He had been a teenage soldier in the War, and the experience was burned into his march-song Ballade von der Krüppelgarde, which he wrote in 1929–30 to words by another former member of the Austro- Hungarian forces, Robert Gilbert, writing as David Weber. Revolution is promised, but on behalf of a parade of the wounded.
Eisler’s Rückkehr zur Natur is a further satire on militarism, this time with words by Kurt Tucholsky, another World War I veteran. The lyrics date from 1922, Eisler’s setting from 1959, when he was writing numerous Tucholsky songs for the actor-singer Ernst Busch.
We return to Weill for two Brecht songs that came soon after Berlin im Licht. The Bilbao Song is the first number in the musical Happy End, which premiered in Berlin in September 1929. Members of a criminal gang, gathered at Bill’s Beer Hall in Berlin, recall the original Bill’s in Bilbao, which has since become gentrified. (The story approximates to that of Guys and Dolls.) Nostalgia, then, is here at the start. Zu Potsdam Unter den Eichen comes from the Berliner Requiem, a radio piece presented by Radio Frankfurt in May the same year. This is again a bitterly anti-war piece in the guise of a marching song.
The texts of Eisler’s Zeitungsausschnitte (Newspaper Clippings), a crisp and compact song cycle, are indeed taken from newspapers, with the exception of the last but one, from Jaroslav Hašek’s novel The Good Soldier Švejk, and the last, by Erwin Ratz, a friend Eisler had made during his studies with Schoenberg through the years 1919–23. Eisler’s relationships with Schoenberg, personal and musical, were tense, and although these songs do not follow twelve-tone principles, they are decidedly more chromatic than his other pieces on tonight’s program. His intention was to get away from what he called the “bourgeois concert poetry” espoused by Schoenberg, Berg, and Webern to bring forward the voices of common people. Mockery is absolutely not intended. If the lonely-hearts announcements use clichés (including a Wagnerian cliché—the Tristan motif— in No. 6), the criticism is of a society that provides no other language.
We return to Happy End briefly for the up-tempo Song of Mandelay, delivered in the show by one of the gangsters in drag. The first half then ends with perhaps the first ever song on global capitalism, sly and slily exotic: Eisler’s Depression-era Ballade von den Säckeschmeißern, written in 1930. The words are by the Berlin cabaret manager and lyricist Julian Arendt, yet another marked by service in World War I, during which he contracted the malaria responsible for his early death.
Hollywood 1942–44 and Elsewhere
Time has refused to shift during the interval—we are still in the Berlin of the 1920s, now with a number sung by the ambiguous senior figure Peachum at the beginning of the third act of Die Dreigroschenoper: the Lied von der Unzulänglichkeit menschlichen Strebens.
Then comes the leap, through two decades, to 1948. Eisler, like many other musicians, had found refuge from Nazism in the United States, but after a decade had been deported as a “Soviet agent.” Back in Vienna, he wrote music for a production of a Johann Nestroy farce, Höllenangst (Fear of Hell), from which we hear the Aberglauben-Couplet. The following year he settled in East Berlin, now the capital of the German Democratic Republic, but he returned to Vienna in 1953 to score a second Nestroy piece, Eulenspiegel, represented here by Des is a politischer Herr. In Nestroy, Eisler found a pioneer of the kind of theater he and Brecht were creating: popular, earthy, politically charged. “There is no great comedy without sadness,” he wrote. “Wit lifts us from misery.”
At this point Gruber and Kirill Gerstein insert a flash-forward to 1969 by way of a second miniature song cycle, as laconic and ironic as Eisler’s in the first half: da uhu schaud me so draurech au (The Eagle Owl Looks at Me So Sadly) by Gruber’s great comrade Kurt Schwertsik, who reached the age of 90 earlier this year. The words are by H.C. Artmann, whose surreal poems in Viennese dialect delighted both composers (Gruber most conspicuously in Frankenstein!!). Schwertsik’s settings are equally Viennese, down to the waltz rhythm floating by so often, replaced just in the sixth number by echoes from across the Atlantic. Viennese, too, is a quality not so often found in music of this period: charm.
Like Eisler, Weill was in the United States throughout World War II and beyond, but where Eisler found his calling in Hollywood, Weill was attracted more to Broadway. He did go out to the West Coast to work on films, however, including in 1944 Where Do We Go from Here?, a fantasy-comedy about a man who unwittingly summons a genie to find him a place to serve in the war. With lyrics by Ira Gershwin, the Song of the Rhineland is a bizarre helping of German stereotypes ridiculing an enemy not yet defeated, with more waltzing from Weill.
Schoenberg at this time was also living in Hollywood, though not working for the movies. His income came rather from teaching, which got in the way of composing for a while, until he was approaching 70 and his creativity returned, notably in his Piano Concerto and the Ode to Napoleon Buonaparte, both works of 1942. Four decades before this, Schoenberg had been briefly employed at the pioneer Berlin cabaret, Überbrettl, and cabaret-style performance —half-sung, half-spoken—was to reappear in his work, from Pierrot lunaire to the end. This is the kind of declamation we find in his setting of the castigatory Byron ode, accompanied by piano and string quartet.
Since the work was written at the height of the war, it has often been interpreted as a diatribe aimed at Hitler. This, however, is problematic. Byron’s poem was written and published in April 1814, between Napoleon’s abdication and his embarkation for Elba. The emperor stood defeated. Not so Hitler at the time Schoenberg was setting the poem, March–June 1942. The invasion of the Soviet Union had stalled, but a large part of Europe was still under Nazi control. Moreover, one might think Hitler merited less rhetoric, less grandeur, and less art.
On the other hand, Schoenberg was perfectly capable of going against the meaning of a poem to say what he wanted to say, and the power of his work comes partly from the roar of contempt sounding through a score that is tightly organized in terms of harmony and rapid thematic development. The music often swirls like a raging sea, but it has recurrent patterns and a decisive overall direction, through scenes and interludes. Its direction is strongly affirmed at the close, when E-flat major comes into view as the destination of music whose basic twelve-tone row is full of major and minor chords. Of this emphatically tonal conclusion to a twelve-tone piece, Schoenberg wrote to his Paris ally René Leibowitz: “I don’t know why I did it. Maybe I was wrong, but at present you cannot make me feel this.”
There is a postscript: another of Eisler’s Tucholsky songs of 1959. The dust may have settled, but the red light is still on.
Paul Griffiths has been writing on music for more than 50 years. He also writes novels, including most recently let me go on (2023).
Die Künstler:innen

HK Gruber
Gesang und Rezitation
Der 1943 in Wien geborene Komponist, Dirigent und Chansonnier HK Gruber begann seine musikalische Ausbildung bei den Wiener Sängerknaben und studierte später an der Hochschule für Musik seiner Heimatstadt. Als Kontrabassist gehörte er von 1969 bis 1998 dem Radio-Symphonieorchester Wien an. Seine Werke werden weltweit für ihren äußerst individuellen Stil gefeiert und von bedeutenden Künstler:innen und Klangkörpern aufgeführt. Kompositionsaufträge erhielt HK Gruber u.a. von den Wiener und Berliner Philharmonikern, dem New York Philharmonic, dem Royal Concertgebouw Orchestra, dem Lucerne Festival, der Carnegie Hall und den BBC Proms. Höhepunkte seiner Laufbahn als Dirigent waren u.a. Engagements beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, den Wiener Philharmonikern, dem Mahler Chamber Orchestra, dem Gewandhausorchester Leipzig und dem Philharmonia Orchestra. Als Sängerdarsteller trat HK Gruber erstmals mit dem Ensemble MOB art and tone ART in Erscheinung, das er 1968 mit den befreundeten Wiener Komponisten Kurt Schwertsik und Otto Zykan gründete. Es folgten zahlreiche Auftritte insbesondere in seinem wohl bekanntesten Werk Frankenstein!!, das er 1978 mit Simon Rattle und dem Royal Liverpool Philharmonic Orchestra uraufführte und das seitdem mehr als 600 Aufführungen weltweit erlebte. HK Gruber wurde 2002 mit dem Großen Österreichischen Staatspreis ausgezeichnet und ist seit 2009 Ehrenmitglied des Wiener Konzerthauses.
September 2025

Kirill Gerstein
Klavier
Kirill Gerstein wurde im russischen Woronesch geboren und studierte zunächst sowohl Jazz als auch klassisches Klavier am Berklee College of Music in Boston und an der Manhattan School of Music, bevor er sich auf das klassische Repertoire fokussierte und seine Ausbildung bei Dmitri Bashkirov in Madrid und Ferenc Rados in Budapest abschloss. 2001 gelang ihm mit dem Gewinn des ersten Preises beim Arthur Rubinstein Wettbewerb in Tel Aviv der internationale Durchbruch. Er gastiert als Solist bei den wichtigsten Orchestern weltweit, zuletzt u.a. mit Ferruccio Busonis Klavierkonzert bei den Berliner Philharmonikern, dem Orchestre national de France, dem BBC Symphony Orchestra und dem Gulbenkian Orchestra und mit Rachmaninows Drittem Klavierkonzert beim Concertgebouworchester Amsterdam. Er war Artist in Residence des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks, des London Symphony Orchestra und des Festival d’Aix-en-Provence und kuratierte eine eigene Konzertreihe an der Londoner Wigmore Hall. Neben Werken von Chick Corea, Alexander Goehr, Oliver Knussen und Brad Mehldau brachte Kirill Gerstein in den vergangenen Jahren Klavierkonzerte von Thomas Adès und Thomas Larcher zur Uraufführung; 2026 folgt die Premiere eines weiteren Konzerts von Francisco Coll. Seit 2018 ist Kirill Gerstein Professor an der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin, außerdem unterrichtet er an der Kronberg Academy.
September 2025

Kristina Georgieva
Violine
Kristina Georgieva wurde 2001 in Sofia geboren und erhielt ihre musikalische Ausbildung zunächst bei Leonid Kerbel an der Musica Mundi School in Belgien. Im Sommersemester 2025 schloss sie ihr Bachelorstudium in der Klasse von Mihaela Martin an der Barenboim-Said Akademie ab. Sie gewann mehr als 20 internationale Wettbewerbe, darunter den Rising Star Grand Prix Berlin, den Concours International de Violon Maria Cantagrill und die Vienna International Music Competition, und wurde vom Bulgarischen Rundfunk als Young Musician of the Year ausgezeichnet. Als Kammermusikerin arbeitete sie u.a. mit Misha Maisky, Maxim Vengerov, Ivry Gitlis und Emmanuel Pahud zusammen.
September 2025

Eesa Khoury
Violine
Eesa Khoury erhielt ersten Violinunterricht im Alter von fünf Jahren in Haifa und setzte seine Ausbildung später bei Chaim Taub fort. Parallel besuchte er Sommerkurse und Seminare im Musikzentrum Keshet Eilon. Als Student in der Klasse von Mihaela Martin schloss er sein Bachelorstudium an der Barenboim-Said Akademie im Sommersemester 2025 ab. Außerdem ist er Mitglied des West-Eastern Divan Orchestra, mit dem er bereits in renommierten Konzertsälen wie der Carnegie Hall und der Kölner Philharmonie, bei den Festivals in Luzern und Salzburg sowie in der Berliner Waldbühne aufgetreten ist.
September 2025

Jimin Jang
Viola
Die Bratschistin Jimin Jang ist Mitglied der Karajan-Akademie der Berliner Philharmoniker und studiert bei Florian Peelman an der Hochschule für Musik Hanns Eisler. Sie ist Preisträgerin zahlreicher Wettbewerbe und erhielt u.a. den Pirastro-Preis des Oskar-Nedbal-Violawettbewerbs in Prag. Auftritte führten sie in die Berliner Philharmonie, zum Mahler Chamber Orchestra und zur Seiji Ozawa Music Academy. Als Solistin gastierte sie u.a. an der Kumho Art Hall in Seoul.
September 2025

Alexander Kovalev
Violoncello
Alexander Kovalev ist Solo-Cellist der Staatskapelle Berlin und begeisterter Kammermusiker. 1992 in Moskau geboren, erhielt er seine Ausbildung an der Musikschule des Moskauer Tschaikowsky-Konservatoriums, an der Musikhochschule „Robert Schumann“ Düsseldorf sowie an der Hochschule für Musik Hanns Eisler und der Universität der Künste in Berlin. Er trat bei zahlreichen renommierten Festivals wie dem Euregio Musikfestival, den Festspielen Mecklenburg-Vorpommern, dem Yellow Barn Festival und dem Verbier Festival auf und arbeitete mit Künstler:innen wie Martha Argerich, Daniel Barenboim, Patricia Kopatchinskaja, Roger Tapping, Nils Mönkemeyer, Fazıl Say, Mihaela Martin und Natasha Brofsky zusammen. Im Pierre Boulez Saal ist er regelmäßig mit dem Boulez Ensemble zu erleben.
September 2025