Abel Selaocoe Violoncello und Gesang

Special Guest
Ganavya Doraiswamy Gesang

Werke von
Abel Selaocoe
Michel van der Aa
Giovanni Sollima

Ben Nobuto
Colin Alexander
Johann Sebastian Bach

Abel Selaocoe (*1992)
Pula
Tsohle tsohle

Giovanni Sollima (*1962)
Lamentatio

Traditional (South Africa)
Nagula

Johann Sebastian Bach (1685–1750)
Sarabande
aus der Suite für Violoncello solo Nr. 3 C-Dur BWV 1009

Ben Nobuto (*1996)
Living

Abel Selaocoe
Sefako

Colin Alexander
Alva’s Riff

Abel Selaocoe & Michel van der Aa (*1970)
Entanglements
für Violoncello, Stimme und Live-Elektronik (2025)

Abel Selaocoe
Tshepo
Ka Bohaleng

Keine Pause

Abel Selaocoe (*1992)
Pula
Tsohle tsohle

Giovanni Sollima (*1962)
Lamentatio

Traditional (South Africa)
Nagula

Johann Sebastian Bach (1685–1750)
Sarabande
aus der Suite für Violoncello solo Nr. 3 C-Dur BWV 1009

Ben Nobuto (*1996)
Living

Abel Selaocoe
Sefako

Colin Alexander
Alva’s Riff

Abel Selaocoe & Michel van der Aa (*1970)
Entanglements
für Violoncello, Stimme und Live-Elektronik (2025)

Abel Selaocoe
Tshepo
Ka Bohaleng

Keine Pause

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Abel Selaocoe beschreibt das Cello als „atmenden Körper“ und benennt als Inspiration und Ausgangspunkt für sein Debütprogramm im Pierre Boulez Saal das „Im-Fluss-Sein der Kulturen“ – die Überzeugung, dass „Klangräume wie Folk oder Traditionelle Musik, Elektronik und Klassik unterschiedslos nebeneinanderstehen können“. Dieser Glaube an das kreative Zusammenspiel von Genres, Geschichte(n) und Ausdrucksformen ist zum Kern von Selaocoes musikalischer Identität geworden.

Anmerkungen zum Programm von Thomas May

Das Cello als atmender Körper
Zum Soloabend mit Abel Selaocoe

Thomas May


Als Inspiration und Ausgangspunkt für sein Debütprogramm im Pierre Boulez Saal benennt Abel Selaocoe das „Im-Fluss-Sein der Kulturen“ – die Überzeugung, dass es „irgendein Gewebe, eine Struktur gibt, die die Menschen verbindet“, und dass „Klangräume wie Folk oder Traditionelle Musik, Elektronik und Klassik unterschiedslos nebeneinanderstehen können“. Dieser Glaube an das kreative Zusammenspiel von Genres, Geschichte(n) und Ausdrucksformen ist zum Kern von Selaocoes musikalischer Identität geworden. Seine Konzerte gleichen Reisen durch Raum und Zeit, die die rituelle Kraft von Musik der Vorfahren mit der improvisatorischen Freiheit des Jazz und dem kompositorischen Komplexität der europäischen Klassiktradition verweben.

Selaocoe begann erstmals internationale Aufmerksamkeit zu erregen mit Auftritten, bei denen er Cello und Stimme zu einem Instrument verschmolz, mit dem er Geschichten erzählte. Er beschreibt das Cello als „atmenden Körper“, der sowohl den urverfälschten Puls traditioneller Schlaginstrumente wie auch menschliche Äußerungen von Klage oder Freude zum Klingen bringt. In seinen Konzerten verbindet er Cellospiel, Stimme, Improvisation und Body Percussion zu einem einzigen, physischen Akt des Geschichtenerzählens – wobei das menschliche Grundbedürfnis nach Ausdruck, Verbindung und Zugehörigkeit im Mittelpunkt steht.

Ziel ist es dabei nicht, kulturelle Unterschiede zu nivellieren, sondern einen Klangraum zu eröffnen, in dem die Sprachen afrikanischer Traditionen, des Jazz und der Klassik miteinander in Austausch treten können. Für Selaocoe bedeutet kreatives Entdecken – und die Art von Experiment, der er sich in Entanglements, seinem neuen Gemeinschaftswerk mit Michel van der Aa widmet – einen, wie er sagt, „Prozess des gegenseitigen Kennenlernens und die Erkenntnis, dass jede:r imstande ist, den eigenen Körper zu einem Groove zu bewegen“.

Selaocoe wurde 1992 in Sebokeng, einem Township im Süden Johannesburgs, geboren, zu einer Zeit, als die Demokratie in Südafrika noch jung war. Aufgewachsen in einer Familie, in der sich das Erbe der Tswana und der Zulu mischt – sein Vater war Mechaniker, seine Mutter Hausangestellte –, erinnert er sich an eine Kindheit voller Musik, von Kirchenliedern und Nachbarschaftsfeiern zu den Klängen, die das tägliche Leben ausmachten. Klassischer Cello-Unterricht kam hinzu, als sein älterer Bruder Sammy ihn dazu ermutigte, an einem Bildungsangebot teilzunehmen, das der legendäre südafrikanische Geiger Michael Masote ins Leben gerufen hatte.

Noch als Teenager zog Selaocoe nach Manchester, um am Royal Northern College of Music zu studieren. Seitdem lebt er dort und macht sich gleichzeitig international einen Namen als höchst charismatischer Musiker, der in großen Konzertsälen ebenso auftritt wie bei Jazzfestivals und in Clubs. Außerdem hat Selaocoe zwei Ensembles gegründet, die sich jeglicher Genre-Einordnung entziehen – das experimentelle Trio Chesaba und das Bantu Ensemble – und die Teil des Netzwerks künstlerischer Partnerschaften sind, das solchen Projekten wie seinem Album Hymns of Bantu zugrunde liegt.

(Während der zahlreichen Aufführungen dieses Programms im Rahmen seiner Konzerttournee in den vergangenen Wochen hat Abel Selaocoe die Auswahl und Zusammenstellung der einzelnen Werke immer wieder modifiziert und aktualisiert. In den folgenden Anmerkungen sind daher nicht alle Stücke enthalten, die am heutigen Abend zu hören sind.)


***

Abel Selaocoe
Pula


In der Setswana-Sprache und den verwandten Sotho-Tswana-Sprachen bedeutet pula „Regen“, aber auch „Segnung“ oder „Glück“. In Botsuana wird das Wort zur Begrüßung und als Ausdruck von Freude verwendet – und ist sogar der Name der Nationalwährung. In Selaocoes Pula, dem ersten Stück des heutigen Programms, schwingen alle diese Schichten mit: Es ist eine Bitte um Erneuerung und quillt gleichzeitig über vor Energie. „Ein Stück über die Dankbarkeit in meiner Batswana-Kultur,“ so beschreibt er es. „Pula bedeutet Regen, eine kraftvolle, lebensspendende Naturgewalt, die körperliche Nahrung bieten kann, aber auch für eine große spirituelle Verbindung mit der Welt unserer Vorfahren steht. Wenn wir Rat brauchen oder einen Weg suchen, um mit denen zu kommunizieren, die vor uns kamen, sagen wir ‚Pula‘, und die Antwort lautet ‚Ha ine‘ – Regen, lass es regnen! Es ist ein Ausdruck der Freude über diese Gemeinsamkeit, das Gefühl der Zugehörigkeit in dieser riesigen Welt.“

***

Ben Nobuto
Living


Der britisch-japanische Komponist Ben Nobuto reflektiert in seiner Musik die Rhythmen und Texturen des heutigen Lebens, insbesondere seine Faszination für digitale Medien und populäre Ausdrucksformen. Oft kombiniert er akustische Instrumente mit elektronischen Klängen und stellt dabei die Frage, wie menschliche Gesten und Technologie sich gegenseitig spiegeln und verändern können. Sein neues Stück für Solo-Cello, Living, entstand als Auftragswerk für Selaocoe und ist Teil einer Reihe von Kompositionen, in denen Nobuto mit Musiker:innen zusammenarbeitet, deren Schaffen die Grenzen zwischen klassischer und zeitgenössischer Praxis verwischen.

Als Ausgangspunkt nimmt Nobuto einen Vers zum Thema Freude aus dem Dhammapada (Weg des Dharma), einer der bekanntesten und meistgelesenen Sammlungen von Lehrweisheiten im Theravada-Buddhismus. Der Komponist erklärt dazu, dass Living sich auf „Fragmente dieses Verses“ bezieht, die „sich in unterschiedlichen Kombinationen wiederholen und abwechseln, wobei sie auf spielerische Weise Schleifen bilden und ins Stottern geraten – obsessiv, wie ein Mantra“. Die meditative Vorstellung freudiger Stille wird so zu musikalischer Form.

Lebe in Freude, in Liebe,
selbst unter denen, die hassen.
Lebe in Freude, in Frieden,
selbst unter den Verstörten.
Frei von Furcht und Bindung
erkenne die süße Freude des Weges.

Buddha

***

Abel Selaocoe
Sefako


Sefako ist ein Stück über Turbulenzen“, erklärt Selaocoe. „Der Titel bedeutet ‚Hagelschauer‘, was ein natürliches Ereignis und Teil des Lebens ist, aber Durchhaltevermögen und Verständnis von uns verlangt. Außerdem verlangt es Ubuntu [die Bantu-Vorstellung von Empathie und universeller Verbundenheit], also Menschlichkeit und immanentes Mitgefühl mit anderen. In verschiedenen Teilen der Welt herrschen Not und Konflikt, und weil andere Menschen dies nur durch die Brille der Technologie wahrnehmen, erkennen sie es nicht mehr als dringlich oder real. Sefako versucht, durch Klang die unermessliche Weite der Welt in all ihrer Nähe und Distanz zu erleben – wie man in der Sesotho-Sprache sagt: ‚Hanyane hanyane‘ – Stück für Stück!“

***

Colin Alexander
Alva’s Riff


Der britische Cellist und Komponist Colin Alexander schrieb dieses Stück anlässlich der Geburt von Alva, der Tochter des mit ihm befreundeten Abel Selaocoe. Dieser bezeichnet es als „wunderbares Geschenk von einem lieben Freund“ und ergänzt: „Colin und ich teilen eine große Begeisterung für die Obertöne und kosmischen Klänge, die sich auf dem Cello erzeugen lassen.“ Ein leise wiederholtes Pizzicato-Pattern des Cellos bildet die Grundlage für die an ein Schlaflied erinnernde gesangliche Melodie, die Ruhe, Zärtlichkeit und die sanfte Aura eines Segensspruches ausstrahlt.

***

Abel Selaocoe / Michel van der Aa
Entanglements

Dieses gemeinsame Projekt von Selaocoe und dem niederländischen Komponisten und Filmemacher Michel van der Aa verschmilzt Cello, Stimme und Live-Elektronik in einer sich kontinuierlich verändernden Klanglandschaft, in der menschliche Gesten auf digitale Verarbeitung treffen. Die elektronische Tonspur besteht aus Aufnahmen von Selaocoes eigenem Spiel und Gesang, wodurch die natürliche Resonanz des Cellos eine noch reichere, vielschichtige Qualität annimmt. „Entanglements entstand als krasses Beispiel dafür, wie die Vergangenheit unserer Gegenwart ähnelt“, sagt Selaocoe. „Es beschäftigt sich mit Apartheid in Südafrika in Form zweier Gedichte von Lesego Rampolokeng und Ingrid Jonker. Michels Klangsprache ist absolut einzigartig – er benutzt meine Stimme und Klänge, wie ich es nie erwartet hätte, und bringt sie auf wunderbare Art und Weise mit akustischer, südafrikanischer spiritueller Musik und elektronischen Klängen zusammen.“

In diesem Werk treffen Musik, gesprochener Text und theatralische Gestik aufeinander, verflochten mit Gedichten von Lesego Rampolokeng (*1965), dessen rhythmisch aufgeladene Performance-Lyrik die Gewalt der Apartheid thematisierte, und Ingrid Jonker (1933–1965), deren lyrische Gedichte auf Afrikaans zum Symbol für Empathie und Widerstand wurden. (Nelson Mandela zitierte Jonkers Gedicht The Child Who Was Shot Dead by Soldiers at Nyanga auf denkwürdige Weise bei der Eröffnung des ersten demokratischen Parlaments Südafrikas im Jahr 1994.) Van der Aas dreiteilige Komposition verbindet zwei unterschiedliche Linien afrikanischer Tradition – die polyphonen, improvisatorischen Gesangsformen des Baka-Volks in Zentralafrika sowie die modalen Texturen des äthiopischen Gesangs mit seinen mediterranen und östlichen Einflüssen – und interpretiert sie in seiner eigenen, zeitgenössischen Sprache.

***

Abel Selaocoe
Tshepo


Auf Sesotho bedeutet tshepo „Zuversicht“ oder „Hoffnung“. Dieses Stück bezieht sich auf Selaocoes spirituelle Wurzeln und die Kraft des gemeinschaftlichen Singens – es beschwört die Energie südafrikanischer religiöser Traditionen. In seiner Vermischung von Rhythmus, Gesang und Reflektion erinnert Tshepo an den Glauben als gelebte Erfahrung – eine innere Kraft, die durch kollektives Musizieren und gemeinsame Präsenz noch zu wachsen scheint.


Übersetzung: Alexa Nieschlag

Thomas May ist ein Schriftsteller, Kritiker, Lehrer und Übersetzer, dessen Beiträge in The New York Times, Gramophone, Strings, The Voice (der Zeitschrift von Chorus America) und anderen Publikationen zu finden sind. Er ist nicht nur der Redakteur der englischsprachigen Publikationen des Lucerne Festivals, sondern auch der USA-Korrespondent von The Strad und schreibt regelmäßig Werktexte für den Los Angeles Master Chorale und das Ojai Festival.

Das Cello als atmender Körper
Zum Soloabend mit Abel Selaocoe

Thomas May


Als Inspiration und Ausgangspunkt für sein Debütprogramm im Pierre Boulez Saal benennt Abel Selaocoe das „Im-Fluss-Sein der Kulturen“ – die Überzeugung, dass es „irgendein Gewebe, eine Struktur gibt, die die Menschen verbindet“, und dass „Klangräume wie Folk oder Traditionelle Musik, Elektronik und Klassik unterschiedslos nebeneinanderstehen können“. Dieser Glaube an das kreative Zusammenspiel von Genres, Geschichte(n) und Ausdrucksformen ist zum Kern von Selaocoes musikalischer Identität geworden. Seine Konzerte gleichen Reisen durch Raum und Zeit, die die rituelle Kraft von Musik der Vorfahren mit der improvisatorischen Freiheit des Jazz und dem kompositorischen Komplexität der europäischen Klassiktradition verweben.

Selaocoe begann erstmals internationale Aufmerksamkeit zu erregen mit Auftritten, bei denen er Cello und Stimme zu einem Instrument verschmolz, mit dem er Geschichten erzählte. Er beschreibt das Cello als „atmenden Körper“, der sowohl den urverfälschten Puls traditioneller Schlaginstrumente wie auch menschliche Äußerungen von Klage oder Freude zum Klingen bringt. In seinen Konzerten verbindet er Cellospiel, Stimme, Improvisation und Body Percussion zu einem einzigen, physischen Akt des Geschichtenerzählens – wobei das menschliche Grundbedürfnis nach Ausdruck, Verbindung und Zugehörigkeit im Mittelpunkt steht.

Ziel ist es dabei nicht, kulturelle Unterschiede zu nivellieren, sondern einen Klangraum zu eröffnen, in dem die Sprachen afrikanischer Traditionen, des Jazz und der Klassik miteinander in Austausch treten können. Für Selaocoe bedeutet kreatives Entdecken – und die Art von Experiment, der er sich in Entanglements, seinem neuen Gemeinschaftswerk mit Michel van der Aa widmet – einen, wie er sagt, „Prozess des gegenseitigen Kennenlernens und die Erkenntnis, dass jede:r imstande ist, den eigenen Körper zu einem Groove zu bewegen“.

Selaocoe wurde 1992 in Sebokeng, einem Township im Süden Johannesburgs, geboren, zu einer Zeit, als die Demokratie in Südafrika noch jung war. Aufgewachsen in einer Familie, in der sich das Erbe der Tswana und der Zulu mischt – sein Vater war Mechaniker, seine Mutter Hausangestellte –, erinnert er sich an eine Kindheit voller Musik, von Kirchenliedern und Nachbarschaftsfeiern zu den Klängen, die das tägliche Leben ausmachten. Klassischer Cello-Unterricht kam hinzu, als sein älterer Bruder Sammy ihn dazu ermutigte, an einem Bildungsangebot teilzunehmen, das der legendäre südafrikanische Geiger Michael Masote ins Leben gerufen hatte.

Noch als Teenager zog Selaocoe nach Manchester, um am Royal Northern College of Music zu studieren. Seitdem lebt er dort und macht sich gleichzeitig international einen Namen als höchst charismatischer Musiker, der in großen Konzertsälen ebenso auftritt wie bei Jazzfestivals und in Clubs. Außerdem hat Selaocoe zwei Ensembles gegründet, die sich jeglicher Genre-Einordnung entziehen – das experimentelle Trio Chesaba und das Bantu Ensemble – und die Teil des Netzwerks künstlerischer Partnerschaften sind, das solchen Projekten wie seinem Album Hymns of Bantu zugrunde liegt.

(Während der zahlreichen Aufführungen dieses Programms im Rahmen seiner Konzerttournee in den vergangenen Wochen hat Abel Selaocoe die Auswahl und Zusammenstellung der einzelnen Werke immer wieder modifiziert und aktualisiert. In den folgenden Anmerkungen sind daher nicht alle Stücke enthalten, die am heutigen Abend zu hören sind.)


***

Abel Selaocoe
Pula


In der Setswana-Sprache und den verwandten Sotho-Tswana-Sprachen bedeutet pula „Regen“, aber auch „Segnung“ oder „Glück“. In Botsuana wird das Wort zur Begrüßung und als Ausdruck von Freude verwendet – und ist sogar der Name der Nationalwährung. In Selaocoes Pula, dem ersten Stück des heutigen Programms, schwingen alle diese Schichten mit: Es ist eine Bitte um Erneuerung und quillt gleichzeitig über vor Energie. „Ein Stück über die Dankbarkeit in meiner Batswana-Kultur,“ so beschreibt er es. „Pula bedeutet Regen, eine kraftvolle, lebensspendende Naturgewalt, die körperliche Nahrung bieten kann, aber auch für eine große spirituelle Verbindung mit der Welt unserer Vorfahren steht. Wenn wir Rat brauchen oder einen Weg suchen, um mit denen zu kommunizieren, die vor uns kamen, sagen wir ‚Pula‘, und die Antwort lautet ‚Ha ine‘ – Regen, lass es regnen! Es ist ein Ausdruck der Freude über diese Gemeinsamkeit, das Gefühl der Zugehörigkeit in dieser riesigen Welt.“

***

Ben Nobuto
Living


Der britisch-japanische Komponist Ben Nobuto reflektiert in seiner Musik die Rhythmen und Texturen des heutigen Lebens, insbesondere seine Faszination für digitale Medien und populäre Ausdrucksformen. Oft kombiniert er akustische Instrumente mit elektronischen Klängen und stellt dabei die Frage, wie menschliche Gesten und Technologie sich gegenseitig spiegeln und verändern können. Sein neues Stück für Solo-Cello, Living, entstand als Auftragswerk für Selaocoe und ist Teil einer Reihe von Kompositionen, in denen Nobuto mit Musiker:innen zusammenarbeitet, deren Schaffen die Grenzen zwischen klassischer und zeitgenössischer Praxis verwischen.

Als Ausgangspunkt nimmt Nobuto einen Vers zum Thema Freude aus dem Dhammapada (Weg des Dharma), einer der bekanntesten und meistgelesenen Sammlungen von Lehrweisheiten im Theravada-Buddhismus. Der Komponist erklärt dazu, dass Living sich auf „Fragmente dieses Verses“ bezieht, die „sich in unterschiedlichen Kombinationen wiederholen und abwechseln, wobei sie auf spielerische Weise Schleifen bilden und ins Stottern geraten – obsessiv, wie ein Mantra“. Die meditative Vorstellung freudiger Stille wird so zu musikalischer Form.

Lebe in Freude, in Liebe,
selbst unter denen, die hassen.
Lebe in Freude, in Frieden,
selbst unter den Verstörten.
Frei von Furcht und Bindung
erkenne die süße Freude des Weges.

Buddha

***

Abel Selaocoe
Sefako


Sefako ist ein Stück über Turbulenzen“, erklärt Selaocoe. „Der Titel bedeutet ‚Hagelschauer‘, was ein natürliches Ereignis und Teil des Lebens ist, aber Durchhaltevermögen und Verständnis von uns verlangt. Außerdem verlangt es Ubuntu [die Bantu-Vorstellung von Empathie und universeller Verbundenheit], also Menschlichkeit und immanentes Mitgefühl mit anderen. In verschiedenen Teilen der Welt herrschen Not und Konflikt, und weil andere Menschen dies nur durch die Brille der Technologie wahrnehmen, erkennen sie es nicht mehr als dringlich oder real. Sefako versucht, durch Klang die unermessliche Weite der Welt in all ihrer Nähe und Distanz zu erleben – wie man in der Sesotho-Sprache sagt: ‚Hanyane hanyane‘ – Stück für Stück!“

***

Colin Alexander
Alva’s Riff


Der britische Cellist und Komponist Colin Alexander schrieb dieses Stück anlässlich der Geburt von Alva, der Tochter des mit ihm befreundeten Abel Selaocoe. Dieser bezeichnet es als „wunderbares Geschenk von einem lieben Freund“ und ergänzt: „Colin und ich teilen eine große Begeisterung für die Obertöne und kosmischen Klänge, die sich auf dem Cello erzeugen lassen.“ Ein leise wiederholtes Pizzicato-Pattern des Cellos bildet die Grundlage für die an ein Schlaflied erinnernde gesangliche Melodie, die Ruhe, Zärtlichkeit und die sanfte Aura eines Segensspruches ausstrahlt.

***

Abel Selaocoe / Michel van der Aa
Entanglements

Dieses gemeinsame Projekt von Selaocoe und dem niederländischen Komponisten und Filmemacher Michel van der Aa verschmilzt Cello, Stimme und Live-Elektronik in einer sich kontinuierlich verändernden Klanglandschaft, in der menschliche Gesten auf digitale Verarbeitung treffen. Die elektronische Tonspur besteht aus Aufnahmen von Selaocoes eigenem Spiel und Gesang, wodurch die natürliche Resonanz des Cellos eine noch reichere, vielschichtige Qualität annimmt. „Entanglements entstand als krasses Beispiel dafür, wie die Vergangenheit unserer Gegenwart ähnelt“, sagt Selaocoe. „Es beschäftigt sich mit Apartheid in Südafrika in Form zweier Gedichte von Lesego Rampolokeng und Ingrid Jonker. Michels Klangsprache ist absolut einzigartig – er benutzt meine Stimme und Klänge, wie ich es nie erwartet hätte, und bringt sie auf wunderbare Art und Weise mit akustischer, südafrikanischer spiritueller Musik und elektronischen Klängen zusammen.“

In diesem Werk treffen Musik, gesprochener Text und theatralische Gestik aufeinander, verflochten mit Gedichten von Lesego Rampolokeng (*1965), dessen rhythmisch aufgeladene Performance-Lyrik die Gewalt der Apartheid thematisierte, und Ingrid Jonker (1933–1965), deren lyrische Gedichte auf Afrikaans zum Symbol für Empathie und Widerstand wurden. (Nelson Mandela zitierte Jonkers Gedicht The Child Who Was Shot Dead by Soldiers at Nyanga auf denkwürdige Weise bei der Eröffnung des ersten demokratischen Parlaments Südafrikas im Jahr 1994.) Van der Aas dreiteilige Komposition verbindet zwei unterschiedliche Linien afrikanischer Tradition – die polyphonen, improvisatorischen Gesangsformen des Baka-Volks in Zentralafrika sowie die modalen Texturen des äthiopischen Gesangs mit seinen mediterranen und östlichen Einflüssen – und interpretiert sie in seiner eigenen, zeitgenössischen Sprache.

***

Abel Selaocoe
Tshepo


Auf Sesotho bedeutet tshepo „Zuversicht“ oder „Hoffnung“. Dieses Stück bezieht sich auf Selaocoes spirituelle Wurzeln und die Kraft des gemeinschaftlichen Singens – es beschwört die Energie südafrikanischer religiöser Traditionen. In seiner Vermischung von Rhythmus, Gesang und Reflektion erinnert Tshepo an den Glauben als gelebte Erfahrung – eine innere Kraft, die durch kollektives Musizieren und gemeinsame Präsenz noch zu wachsen scheint.


Übersetzung: Alexa Nieschlag

Thomas May ist ein Schriftsteller, Kritiker, Lehrer und Übersetzer, dessen Beiträge in The New York Times, Gramophone, Strings, The Voice (der Zeitschrift von Chorus America) und anderen Publikationen zu finden sind. Er ist nicht nur der Redakteur der englischsprachigen Publikationen des Lucerne Festivals, sondern auch der USA-Korrespondent von The Strad und schreibt regelmäßig Werktexte für den Los Angeles Master Chorale und das Ojai Festival.

Der Künstler


Abel Selaocoe
Violoncello und Stimme

Der südafrikanische Cellist und Komponist Abel Selaocoe bewegt sich zwischen unterschiedlichsten Genres und Kontexten. In eigenen Werken und seinen Konzertprogrammen, die oft Komposition mit Improvisation, Gesang und Body Percussion verbinden, widmet er sich insbesondere den Verbindungen zwischen westlicher Kunstmusik und anderen musikalischen Traditionen. Dabei arbeitet er mit Künstler:innen verschiedenster Musikrichtungen zusammen, darunter die Komponisten Bernhard Schimpelsberger und Giovanni Sollima, der Kora-Virtuose Seckou Keita, der Perkussionist Dudù Kouaté und das Manchester Collective. 2016 gründete er das Trio Chesaba, das sich auf Musik des afrikanischen Kontinents spezialisiert hat. 2022 rief er das Bantu Ensemble ins Leben, mit dem er seine eigenen Werke weltweit aufführt, etwa in der New Yorker Carnegie Hall oder beim diesjährigen Glastonbury Festival. In der aktuellen Saison ist er Artistic Partner des Saint Paul Chamber Orchestra und Artist in Focus des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin, mit dem er im März 2026 ein neues Werk für Violoncello und Orchester von Jessie Montgomery uraufführt. Im Februar 2025 veröffentlichte Abel Selaocoe sein zweites Album Hymns of Bantu, dem im August dieses Jahres eine Einspielung seines eigenen Cellokonzertes Four Spirits mit dem Aurora Orchestra folgte.

November 2025

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