Ema Nikolovska Mezzosopran
Sean Shibe Gitarre, E-Gitarre und Elektronik

Werke von
John Dowland
Franz Schubert
Pauline Viardot
Jules Massenet
Bob Dylan
Laurie Anderson
Hans Abrahamsen
Detlev Glanert
Thomas Adès
Cassandra Miller
Sasha Scott

Jules Massenet (1842–1912)
Ô Souverain, ô juge, ô père
Arie des Rodrigue aus der Oper Le Cid (1883–85)

John Dowland (1563–1626)
Praeludium

Come Again
Think’st Thou Then by Thy Feigning
Come, Heavy Sleep
aus First Booke of Songes (1597)

Sasha Scott (*2002)
1000 parts of you (2024)
Auftragswerk der Wigmore Hall und von Richard Cauldwell

***

Detlev Glanert (*1960)
Insel der Düfte
aus Orlando-Lieder (2004)

Thomas Adès (*1971)
Over the Sea
Szene der Blanca aus der Oper The Exterminating Angel (2015–16)

Detlev Glanert
Hexensabbat
aus Orlando-Lieder

Franz Schubert (1797–1828)
Einsamkeit
aus Winterreise D 911 (1827)

Detlev Glanert
Lied der Wehmut
aus Orlando-Lieder

Thomas Adès
Habanera
Arie der Leonora aus The Exterminating Angel


Pause


Detlev Glanert
Orlandos Traum
Lied vom Meer
Der Hippogryph
aus Orlando-Lieder

Cassandra Miller (*1976)
Dream Memorandum (“It Reminded Me of the Truth”) (2024)
Auftragswerk des Borletti-Buitoni Trust

Hans Abrahamsen (*1952)
See the Limpid Spring
aus Two Inger Christensen Songs (2017)

Franz Schubert
So lasst mich scheinen D 877/3 (1826)

***

John Dowland
Orlando Sleepeth

Pauline Viardot (1821–1910)
Aimez-moi (1886)

Bob Dylan (*1941)
Masters of War
nach einem Traditional arrangiert von Jean Ritchie (1962–63)

Laurie Anderson (*1947)
O Superman (for Massenet) (1981)

 

Wir bitten, die einzelnen Programmblöcke nicht  durch Applaus zu unterbrechen.

Jules Massenet (1842–1912)
Ô Souverain, ô juge, ô père
Arie des Rodrigue aus der Oper Le Cid (1883–85)

John Dowland (1563–1626)
Praeludium

Come Again
Think’st Thou Then by Thy Feigning
Come, Heavy Sleep
aus First Booke of Songes (1597)

Sasha Scott (*2002)
1000 parts of you (2024)
Auftragswerk der Wigmore Hall und von Richard Cauldwell

***

Detlev Glanert (*1960)
Insel der Düfte
aus Orlando-Lieder (2004)

Thomas Adès (*1971)
Over the Sea
Szene der Blanca aus der Oper The Exterminating Angel (2015–16)

Detlev Glanert
Hexensabbat
aus Orlando-Lieder

Franz Schubert (1797–1828)
Einsamkeit
aus Winterreise D 911 (1827)

Detlev Glanert
Lied der Wehmut
aus Orlando-Lieder

Thomas Adès
Habanera
Arie der Leonora aus The Exterminating Angel


Pause


Detlev Glanert
Orlandos Traum
Lied vom Meer
Der Hippogryph
aus Orlando-Lieder

Cassandra Miller (*1976)
Dream Memorandum (“It Reminded Me of the Truth”) (2024)
Auftragswerk des Borletti-Buitoni Trust

Hans Abrahamsen (*1952)
See the Limpid Spring
aus Two Inger Christensen Songs (2017)

Franz Schubert
So lasst mich scheinen D 877/3 (1826)

***

John Dowland
Orlando Sleepeth

Pauline Viardot (1821–1910)
Aimez-moi (1886)

Bob Dylan (*1941)
Masters of War
nach einem Traditional arrangiert von Jean Ritchie (1962–63)

Laurie Anderson (*1947)
O Superman (for Massenet) (1981)

 

Wir bitten, die einzelnen Programmblöcke nicht  durch Applaus zu unterbrechen.

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Umschlag der Erstausgabe von Virginia Woolfs Orlando, London 1928

Wozu die ganze Mühe der Programmgestaltung und des „Kuratierens“? Diese Frage habe ich mir oft gestellt und auch in Gesprächen mit Freunden und Kolleginnen diskutiert. Eine Antwort lautet: um etwas zu verarbeiten, Dinge miteinander zu vernetzen, an unerwarteten Orten Verbindungen herzustellen.

Anmerkungen von Ema Nikolovska

Orlando als Collage
Anmerkungen von Ema Nikolovska


Wozu die ganze Mühe der Programmgestaltung und des „Kuratierens“?

Diese Frage habe ich mir oft gestellt und auch in Gesprächen mit Freunden und Kolleginnen diskutiert. Eine Antwort lautet: um etwas zu verarbeiten, Dinge miteinander zu vernetzen, an unerwarteten Orten Verbindungen herzustellen.

Wir werden täglich von Geräuschen und Bildern überschwemmt, was häufig unangenehm ist, auch wenn wir uns inzwischen daran gewöhnt haben. Virginia Woolfs Figur Orlando, die in diesem Moment bereits Jahrhunderte durchlebt hat, bringt die überfordernde Atmosphäre des modernen Zeitalters bei der rasanten Fahrt in einem Cabriolet durch das London des Jahres 1928 zum Ausdruck: „Nichts sah man ganz, nichts konnte man von Anfang bis zu Ende lesen. Was man beginnen sah – zum Beispiel die Begegnung zweier Freunde, die zueinander über die Straße strebten –, das sah man niemals enden. Nach zwanzig Minuten Fahrt waren Körper und Geist wie Papierschnitzel, die aus einem Sack niederflattern; und in der Tat: wenn man einen Wagen in rascher Fahrt aus London lenkt, so ähnelt dieser Vorgang so sehr der Zerfetzung des bewussten Eigenlebens, die der Bewusstlosigkeit und vielleicht auch dem Tode vorangeht, dass wir die Frage, inwieweit von einem Da-Sein Orlandos im gegenwärtigen Augenblick die Rede sein kann, offenlassen müssen.“

Solche sich steigernden Reize bieten sich natürlich als Zutaten experimentellen Collagierens an, und genau hier ist es, wo das Kuratieren beginnt, Spaß zu machen und spannend zu werden. Im Jahr 2025 zu leben bedeutet, zu vielen Zeitabschnitten mit ihren Geschichten und Klängen gleichzeitig Zugang zu haben, und eine zentrale Frage bei meiner Arbeit mit Sean (als Duo und für unsere eigenen Projekte) lautet: Was geschieht, wenn diese Klänge nebeneinanderstehen? Das „Alte“ und das „Moderne“, die in diesen Klangteppich eingewoben sind, befinden sich ebenso wie das Reale und das Unheimliche im Dialog – das Vertraute wird fremd und umgekehrt. Aus der alchemistischen Reaktion dieser Fundstücke entsteht etwas Drittes.

In unserem Programm spielen wir mit vielen Orlandos aus unterschiedlichen Quellen (oft mit Bezug zu Rittern, Abenteurern, Troubadouren), und während dieses Prozesses verwandeln wir uns buchstäblich selbst in Orlandos. Das alles basiert auf Virginia Woolfs Orlando: einer Figur, die mit ihrem puren Optimismus, ihrer Neugier, Weltoffenheit, Verspieltheit und Unerschrockenheit Generationen von Leser:innen (und uns) inspiriert hat. Die Wandelbarkeit unserer Identität, die „Tausende von Ichs“ in uns erinnern uns daran, dass wir uns immer wieder selbst überraschen können und uns auch von anderen überraschen lassen sollten; solche Überraschungen zu finden ist die treibende Kraft dieses Projekts.

Woolfs Roman war ebenso experimentell und brach mit dem Konzept der westlichen Romanliteratur und Erzählweise, was in der postmodernen Literatur einer Revolution gleichkam – das Buch wirkt fast wie eine Parodie auf die Form der Biografie und auf jegliche lineare Vorstellung vom „Selbst“ und kommt zugleich noch wie ein wirbelnder Bewusstseinsstrom daher. Diese Woolf’schen Strukturen und Konzepte sind ein fruchtbarer Nährboden für Programme, die abstrakt genug sind, um das Publikum dazu zu bewegen, die Leerstellen in der Geschichte und ihrer Bedeutung durch die eigene Vorstellungskraft zu füllen, während es den Abend erlebt.

Sean und ich haben unsere Arbeitsweise bei der Programmgestaltung im Lauf der Zeit weiterentwickelt, indem wir unseren instinktiven Eingebungen gefolgt sind, die sich bei der Auseinandersetzung mit dieser Figur und bei der Suche nach möglichen Klangwelten und poetischen Elementen einstellten: Wir haben unsere Vorstellungen davon, was 70 Minuten Musik sein können, erweitert und sind dabei zu dieser Mischung aus Konzert und Theater, elektrischen und akustischen Elementen gelangt; wie haben Wege gefunden, Spiegelkabinette, Illusionen und Ellipsen zu kreieren. Da trifft es sich gut, dass wir uns ausgerechnet im Londoner Stadtteil Bloomsbury (wo Virginia Woolf eine Zeit lang lebte und arbeitete) kennengelernt haben! Woolf selbst war eine Meisterin des Kuratierens, die sich mit dem Rhythmus von Sprache, mit der Abfolge von Bildern und Dichtung auseinandersetzte und deren literarische Collagen unser kreatives Denken stark beeinflusst haben.

Woolfs Orlando erinnert uns daran, dass die einzigen Grenzen und binären Ordnungen, die es gibt, diejenigen sind, die wir selbst schaffen. Unsere Fantasie hat die Macht zur Einschränkung, aber auch zur Verbindung und Extrapolation. Orlandos Geschichte (ob es sich nun um die Figur bei Woolf, bei Ariost oder in der altfranzösischen Dichtung handelt) zelebriert das grenzenlose Potenzial an Abenteuern, das in jedem Augenblick steckt, die Unwirklichkeit von Zeit und Raum und die Freiheit, die zwischen unseren Ohren liegt.

Orlando als Collage
Anmerkungen von Ema Nikolovska


Wozu die ganze Mühe der Programmgestaltung und des „Kuratierens“?

Diese Frage habe ich mir oft gestellt und auch in Gesprächen mit Freunden und Kolleginnen diskutiert. Eine Antwort lautet: um etwas zu verarbeiten, Dinge miteinander zu vernetzen, an unerwarteten Orten Verbindungen herzustellen.

Wir werden täglich von Geräuschen und Bildern überschwemmt, was häufig unangenehm ist, auch wenn wir uns inzwischen daran gewöhnt haben. Virginia Woolfs Figur Orlando, die in diesem Moment bereits Jahrhunderte durchlebt hat, bringt die überfordernde Atmosphäre des modernen Zeitalters bei der rasanten Fahrt in einem Cabriolet durch das London des Jahres 1928 zum Ausdruck: „Nichts sah man ganz, nichts konnte man von Anfang bis zu Ende lesen. Was man beginnen sah – zum Beispiel die Begegnung zweier Freunde, die zueinander über die Straße strebten –, das sah man niemals enden. Nach zwanzig Minuten Fahrt waren Körper und Geist wie Papierschnitzel, die aus einem Sack niederflattern; und in der Tat: wenn man einen Wagen in rascher Fahrt aus London lenkt, so ähnelt dieser Vorgang so sehr der Zerfetzung des bewussten Eigenlebens, die der Bewusstlosigkeit und vielleicht auch dem Tode vorangeht, dass wir die Frage, inwieweit von einem Da-Sein Orlandos im gegenwärtigen Augenblick die Rede sein kann, offenlassen müssen.“

Solche sich steigernden Reize bieten sich natürlich als Zutaten experimentellen Collagierens an, und genau hier ist es, wo das Kuratieren beginnt, Spaß zu machen und spannend zu werden. Im Jahr 2025 zu leben bedeutet, zu vielen Zeitabschnitten mit ihren Geschichten und Klängen gleichzeitig Zugang zu haben, und eine zentrale Frage bei meiner Arbeit mit Sean (als Duo und für unsere eigenen Projekte) lautet: Was geschieht, wenn diese Klänge nebeneinanderstehen? Das „Alte“ und das „Moderne“, die in diesen Klangteppich eingewoben sind, befinden sich ebenso wie das Reale und das Unheimliche im Dialog – das Vertraute wird fremd und umgekehrt. Aus der alchemistischen Reaktion dieser Fundstücke entsteht etwas Drittes.

In unserem Programm spielen wir mit vielen Orlandos aus unterschiedlichen Quellen (oft mit Bezug zu Rittern, Abenteurern, Troubadouren), und während dieses Prozesses verwandeln wir uns buchstäblich selbst in Orlandos. Das alles basiert auf Virginia Woolfs Orlando: einer Figur, die mit ihrem puren Optimismus, ihrer Neugier, Weltoffenheit, Verspieltheit und Unerschrockenheit Generationen von Leser:innen (und uns) inspiriert hat. Die Wandelbarkeit unserer Identität, die „Tausende von Ichs“ in uns erinnern uns daran, dass wir uns immer wieder selbst überraschen können und uns auch von anderen überraschen lassen sollten; solche Überraschungen zu finden ist die treibende Kraft dieses Projekts.

Woolfs Roman war ebenso experimentell und brach mit dem Konzept der westlichen Romanliteratur und Erzählweise, was in der postmodernen Literatur einer Revolution gleichkam – das Buch wirkt fast wie eine Parodie auf die Form der Biografie und auf jegliche lineare Vorstellung vom „Selbst“ und kommt zugleich noch wie ein wirbelnder Bewusstseinsstrom daher. Diese Woolf’schen Strukturen und Konzepte sind ein fruchtbarer Nährboden für Programme, die abstrakt genug sind, um das Publikum dazu zu bewegen, die Leerstellen in der Geschichte und ihrer Bedeutung durch die eigene Vorstellungskraft zu füllen, während es den Abend erlebt.

Sean und ich haben unsere Arbeitsweise bei der Programmgestaltung im Lauf der Zeit weiterentwickelt, indem wir unseren instinktiven Eingebungen gefolgt sind, die sich bei der Auseinandersetzung mit dieser Figur und bei der Suche nach möglichen Klangwelten und poetischen Elementen einstellten: Wir haben unsere Vorstellungen davon, was 70 Minuten Musik sein können, erweitert und sind dabei zu dieser Mischung aus Konzert und Theater, elektrischen und akustischen Elementen gelangt; wie haben Wege gefunden, Spiegelkabinette, Illusionen und Ellipsen zu kreieren. Da trifft es sich gut, dass wir uns ausgerechnet im Londoner Stadtteil Bloomsbury (wo Virginia Woolf eine Zeit lang lebte und arbeitete) kennengelernt haben! Woolf selbst war eine Meisterin des Kuratierens, die sich mit dem Rhythmus von Sprache, mit der Abfolge von Bildern und Dichtung auseinandersetzte und deren literarische Collagen unser kreatives Denken stark beeinflusst haben.

Woolfs Orlando erinnert uns daran, dass die einzigen Grenzen und binären Ordnungen, die es gibt, diejenigen sind, die wir selbst schaffen. Unsere Fantasie hat die Macht zur Einschränkung, aber auch zur Verbindung und Extrapolation. Orlandos Geschichte (ob es sich nun um die Figur bei Woolf, bei Ariost oder in der altfranzösischen Dichtung handelt) zelebriert das grenzenlose Potenzial an Abenteuern, das in jedem Augenblick steckt, die Unwirklichkeit von Zeit und Raum und die Freiheit, die zwischen unseren Ohren liegt.

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Ema und ich lernten uns kennen, als wir in London in derselben Gegend lebten. An einem Abend im Jahr 2019 machten wir zum ersten Mal gemeinsam Musik und spielten und sangen uns in einem dunklen Kellerraum durch verschiedene Lieder, die wir gefunden hatten. Whiteboards und Post-its waren dabei eine große Hilfe, aber wichtiger als Details exakt festzuhalten war es, sich auf die Grundstimmung der verschiedenen Orlando-Geschichten einzulassen.

Anmerkungen von Sean Shibe

Der Traum von Orlando
Anmerkungen von Sean Shibe


Ema und ich lernten uns kennen, als wir in London in derselben Gegend lebten. An einem Abend im Jahr 2019 machten wir zum ersten Mal gemeinsam Musik. In einem dunklen Kellerraum spielten und sangen wir uns durch verschiedene Lieder, die wir gefunden hatten, und während wir immer wieder „ja“, „schön“, „genau so …“ murmelten, wurde unser Lächeln immer breiter.

Whiteboards und Post-its waren dabei eine große Hilfe, aber wichtiger als Details exakt festzuhalten war es, sich auf die Grundstimmung der verschiedenen Orlando-Geschichten einzulassen. Wenn man die besten Varianten aus einer Fülle verschiedener Bearbeitungen eines Epos miteinander vergleicht und eine Auswahl daraus trifft, lässt sich damit kein vollständiges Bild vermitteln – zumindest nicht in einem einzigen Konzert. Wir zeigen, wohin uns diese unterschiedlichen Geschichten geführt haben.

Unsere Favorit ist die Version von Virginia Woolf, eine fantastische, rasante Reise durch Raum und Zeit, die in traumartig anmutenden Szenen geschildert wird. An einer Stelle wacht Orlando auf, bemerkt, dass es in England feucht geworden ist, und beschließt, nach Konstantinopel zu reisen. Und warum auch nicht?! Sie (sowohl Woolf als auch Orlando, würde ich sagen) bleibt hartnäckig, und uns bleibt nichts anderes übrig, als uns auf eine Reihe neuer Regeln einzulassen. Figuren und Geschöpfe platzen ohne Vorwarnung oder Veranlassung in die Szenen. Ein gewisses Chaos ist allgegenwärtig. Dank Woolf haben wir den richtigen Weg gefunden. Logik bedeutet Einschränkung. Man muss immer in Bewegung bleiben.

Mir scheint, dass unsere Planungsphasen die Fülle an Orten und Epochen und Personen widerspiegeln, die ich gedanklich erlebt habe, als ich Woolfs Orlando zum ersten Mal las. Sebastian Blue (der eine Tätowierung von Orlando Gibbons auf dem Arm hatte, eine Lederfliegermütze trug und sich mit der Nonnenkrone von Hildegard von Bingen beschäftigte) in Bern zu treffen; Cassandra Miller und Ema dabei zuzusehen, wie sie sangen und sich gegenseitig Vogelgeräusche vormachten, während ich auf einem Dachboden auf dem Boden lag; stundenlang Melodica-Duette zu hören, die durch Grippe und Carragelose-Nasenspray fiebrige Qualitäten annahmen – all das fühlte sich richtig an. Ich erinnere mich an die Kälte, an Autos voller Taschen und Instrumente, die durch spärlich beleuchtete viktorianische Straßen kurvten, und an den Nebel, der sich bei dem Versuch, etwas Unfassbares einer Logik zu unterwerfen, in meinem Kopf ausbreitete. Von unserer ersten musikalischen Begegnung an trugen wir Orlando in uns, aber unsere rudimentären Ideen tatsächlich in ein vollständiges und stimmiges Programm zu verwandeln, erforderte eine enorme und – zumindest für mich – beispiellose Anstrengung.

Unser Orlando ist daher zwangsläufig keine vollständige Geschichte (sich die Träume anderer Menschen in allen Einzelheiten anzuhören, ist eine furchtbare Erfahrung), sondern eine Art Turbotraum. Unsere Treffen, bei denen wir das Programm zusammenstellten, fühlen sich an wie aus einer anderen Welt. Cassandra hat sogar ein Stück für uns geschrieben, das unsere eigenen Träume aufgreift. Rückblickendbetrachtet war das vielleicht unvermeidlich. Unser Orlando ist chaotisch, zum Teil weil die Geschichte chaotisch ist, aber auch weil Ema und ich es sind. Wir möchten Ihnen gerne mehr erzählen und werden das tun, sobald wir können.


Der Traum von Orlando
Anmerkungen von Sean Shibe


Ema und ich lernten uns kennen, als wir in London in derselben Gegend lebten. An einem Abend im Jahr 2019 machten wir zum ersten Mal gemeinsam Musik. In einem dunklen Kellerraum spielten und sangen wir uns durch verschiedene Lieder, die wir gefunden hatten, und während wir immer wieder „ja“, „schön“, „genau so …“ murmelten, wurde unser Lächeln immer breiter.

Whiteboards und Post-its waren dabei eine große Hilfe, aber wichtiger als Details exakt festzuhalten war es, sich auf die Grundstimmung der verschiedenen Orlando-Geschichten einzulassen. Wenn man die besten Varianten aus einer Fülle verschiedener Bearbeitungen eines Epos miteinander vergleicht und eine Auswahl daraus trifft, lässt sich damit kein vollständiges Bild vermitteln – zumindest nicht in einem einzigen Konzert. Wir zeigen, wohin uns diese unterschiedlichen Geschichten geführt haben.

Unsere Favorit ist die Version von Virginia Woolf, eine fantastische, rasante Reise durch Raum und Zeit, die in traumartig anmutenden Szenen geschildert wird. An einer Stelle wacht Orlando auf, bemerkt, dass es in England feucht geworden ist, und beschließt, nach Konstantinopel zu reisen. Und warum auch nicht?! Sie (sowohl Woolf als auch Orlando, würde ich sagen) bleibt hartnäckig, und uns bleibt nichts anderes übrig, als uns auf eine Reihe neuer Regeln einzulassen. Figuren und Geschöpfe platzen ohne Vorwarnung oder Veranlassung in die Szenen. Ein gewisses Chaos ist allgegenwärtig. Dank Woolf haben wir den richtigen Weg gefunden. Logik bedeutet Einschränkung. Man muss immer in Bewegung bleiben.

Mir scheint, dass unsere Planungsphasen die Fülle an Orten und Epochen und Personen widerspiegeln, die ich gedanklich erlebt habe, als ich Woolfs Orlando zum ersten Mal las. Sebastian Blue (der eine Tätowierung von Orlando Gibbons auf dem Arm hatte, eine Lederfliegermütze trug und sich mit der Nonnenkrone von Hildegard von Bingen beschäftigte) in Bern zu treffen; Cassandra Miller und Ema dabei zuzusehen, wie sie sangen und sich gegenseitig Vogelgeräusche vormachten, während ich auf einem Dachboden auf dem Boden lag; stundenlang Melodica-Duette zu hören, die durch Grippe und Carragelose-Nasenspray fiebrige Qualitäten annahmen – all das fühlte sich richtig an. Ich erinnere mich an die Kälte, an Autos voller Taschen und Instrumente, die durch spärlich beleuchtete viktorianische Straßen kurvten, und an den Nebel, der sich bei dem Versuch, etwas Unfassbares einer Logik zu unterwerfen, in meinem Kopf ausbreitete. Von unserer ersten musikalischen Begegnung an trugen wir Orlando in uns, aber unsere rudimentären Ideen tatsächlich in ein vollständiges und stimmiges Programm zu verwandeln, erforderte eine enorme und – zumindest für mich – beispiellose Anstrengung.

Unser Orlando ist daher zwangsläufig keine vollständige Geschichte (sich die Träume anderer Menschen in allen Einzelheiten anzuhören, ist eine furchtbare Erfahrung), sondern eine Art Turbotraum. Unsere Treffen, bei denen wir das Programm zusammenstellten, fühlen sich an wie aus einer anderen Welt. Cassandra hat sogar ein Stück für uns geschrieben, das unsere eigenen Träume aufgreift. Rückblickendbetrachtet war das vielleicht unvermeidlich. Unser Orlando ist chaotisch, zum Teil weil die Geschichte chaotisch ist, aber auch weil Ema und ich es sind. Wir möchten Ihnen gerne mehr erzählen und werden das tun, sobald wir können.


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Der unsterbliche Ritter, der wandelbare Troubadour, die treu Liebende: Orlando durchlebt in seinen/ihren unterschiedlichen Rollen Abenteuer, die sein/ihr wahres Wesen enthüllen. Das Programm des heutigen Abends folgt Orlandos auf verschlungenen Pfaden verlaufenden Reisen durch Zeiten, Geschlechter und Medien, inspiriert von Werken wie dem altfranzösischen Chanson de Roland, Ludovico Ariostos Orlando furioso und Virginia Woolfs Orlando: Eine Biografie.

Essay von Aiden Feltkamp

Ein Leben wie ein Kaleidoskop
Orlando in musikalischen Portraits

Aiden Feltkamp


Der unsterbliche Ritter, der wandelbare Troubadour, die treu Liebende: Orlando durchlebt in seinen/ihren unterschiedlichen Rollen Abenteuer, die sein/ihr wahres Wesen enthüllen. Das Programm des heutigen Abends folgt Orlandos auf verschlungenen Pfaden verlaufenden Reisen durch Zeiten, Geschlechter und Medien, inspiriert von Werken wie dem altfranzösischen Chanson de Roland, Ludovico Ariostos Orlando furioso und Virginia Woolfs Orlando: Eine Biografie.

Orlandos Kriegserlebnisse werden zum ersten Mal in dem (um 1040 entstandenen) Chanson de Roland geschildert, einem der ältesten erhaltenen Werke der französischen Literatur, und mit seiner Rolle in Orlando furioso (1532) fortgeschrieben. Diese Dichtungen stellen die Pflichten eines Ritters sowie die höfische Liebe und die sich daraus ergebenden ritterlichen Abenteuer in den Mittelpunkt. In ihrem Roman von 1928 zwingt Virginia Woolf Orlando, über seine Identität nachzudenken, und verleiht ihm neben einem langen Leben auch eine fluide Geschlechtsidentität. Von ihrer ersten Geliebten und Schriftstellerkollegin Vita Sackville-West inspiriert, entwarf Woolf eine Orlando-Figur, die nicht nur vom Mann zur Frau wird und in der Ständeordnung vom Hofpagen zur Adligen aufsteigt, sondern auch die eigene Geschlechtsidentität und Sexualität erforscht. Der Roman verfolgt Orlandos Jahrhunderte umspannende Abenteuer durch reale Länder und metaphysische Seinszustände.

Das Programm von Ema Nikolovska und Sean Shibe spürt Orlandos kaleidoskopartigem Leben anhand von vier musikalischen Eckpunkten nach: Sasha Scotts 1000 parts of you, Cassandra Millers Dream Memorandum, den Orlando-Liedern von Detlev Glanert und Laurie Andersons O Superman. Außerdem zu hören sind Werke von Dowland, Massenet, Bob Dylan und anderen.

Sowohl Sasha Scott als auch Cassandra Miller thematisieren in ihren 2024 uraufgeführten Werken Orlandos Identität und wurden dabei von Woolfs Roman inspiriert. 1000 parts of you von Scott, die in London lebt und kürzlich ihr Studium am Royal College of Music abgeschlossen hat, greift ihre Coverversion von O Superman auf und verwendet dabei Stimme, Gitarre und Elektronik. Zu ihrem Werk erklärt sie: „[Das sechste Kapitel von Orlando] ließ mich darüber nachdenken, dass wir als Menschen alle das Gefühl haben, aus Tausenden verschiedenen Ichs und Einzelteilen zu bestehen, die uns zu dem machen, was wir sind. Zu der Zeit, als mich diese Gedanken beschäftigten, besuchte ich die Ausstellung Infinity Mirror Rooms von Yayoi Kusama. Die unendlich vielen Reflexionen in dem verspiegelten Raum, der sich für mich fast wie eine Nachbildung von Orlandos Gedankenwelt anfühlte, haben mich sehr bewegt und fasziniert. Mein Ziel war, dass die Klangwelt grenzenlos und kontemplativ, aber zugleich auch einnehmend und überwältigend wirkt.“

Die aus Kanada stammende Miller, Komponistin und ehemalige stellvertretende Leiterin der Kompositionsabteilung an der Londoner Guildhall School of Music & Drama, schrieb ihr Dream Memorandum (“It Reminded Me of the Truth”) anhand der Tonaufnahme eines Gesprächs mit Ema Nikolovska über die zentralen Themen in Woolfs Roman. Über ihre Vorgehensweise sagt Miller: „Ich bat Ema, Teile ihrer Sprachnachrichten an mich auswendig zu lernen und sie im Konzert mit Seans Begleitung zu sprechen. Ich finde den Klang von Emas Stimme geradezu magisch, beschwörend und intelligent – und, zum Glück für den Transkriptionsprozess, ziemlich tonal. Ihre Gedanken werden in einem temperamentvollen F-Dur artikuliert, und ihre tiefgründigsten Reflexionen haben für mich einen satten d-moll-Klang.“

Unser musikalischer Streifzug führt uns immer wieder zu Detlev Glanerts Orlando-Liedern zurück. Dieser Zyklus widmet sich verschiedenen Facetten von Orlandos Persönlichkeit und bildet gleichzeitig das musikalische Gerüst für das gesamte Programm. Die Texte sind von Ariosts Orlando furioso inspirierte zeitgenössische Gedichte der Schriftstellerinnen Margareth Obexer und Angela di Ciriaco-Sussdorff. Die Uraufführung des vollständigen Werks fand 2005 in Berlin mit Aron Brieger und Juliane Tief statt. Glanerts Hang zu harmonischer Komplexität in seinen Vokalwerken scheint in diesen Liedern auf, obgleich er seine normalerweise dichte Klangwelt hier durch den für die Troubadoure und Trobairitz des Mittelalters typischen kargen Erzählstil ersetzt. Die Singstimme bewegt sich frei über der lautenähnlichen Begleitung der Gitarre, wobei Glanerts emotional intensive Tonsprache sich für diese auf Leidenschaft und Abenteuer konzentrierten Texten ausgezeichnet eignet.

Dieser trobadoureske Klang bildet den roten Faden des Programms. Er findet sich in Dowlands Musik und verleiht Bob Dylans und Laurie Andersons Liedern ihre spezielle Farbe. Hört man Andersons O Superman in direkter Nachbarschaft zu Dylans Masters of War von 1963, einem Protestlied aus der Zeit des Kalten Krieges, werden darin die Auswirkungen des Krieges auf die Identität und das eingeschränkte Vermögen Orlandos, Gemeinsamkeit zu schaffen, deutlich. Anderson, ursprünglich als Indie-Avantgarde-Künstlerin bekannt, gelang mit O Superman der Durchbruch in die kommerzielle Musikszene, sie erreichte damit 1981 Platz zwei der britischen Single-Charts. Das Lied entstand als Teil von United States, einem achtstündigen, sich über zwei Abende erstreckenden Bühnenwerk, das neben musikalischen Nummern auch rein visuelle Passagen, gesprochene Texte und animierte Szenen enthielt. Das Bühnenstück wie das Lied setzen sich mit dem Leben in den USA auseinander, wobei im Mittelpunkt des Liedes die Frage steht, wie neue Technologien die Kommunikation zwischen den Menschen in Kriegszeiten verändern können. Das Stück wird gelegentlich auch als O Superman (for Massenet) bezeichnet, da Anderson sich bei der Komposition von der Arie „Ô souverain, ô juge, ô père“ aus Massenets Oper Le Cid inspirieren ließ. Die erste Zeile („O Superman, O Judge, O Mom and Dad“) spiegelt die Übersetzung der ersten Zeile von Massenets Arie („O sovereign lord, O judge, O father“ / „O Herrscher, o Richter, o Vater“), doch danach weicht der Text davon ab. Die Originalaufnahme von O Superman arbeitet mit einem Elektronik-Loop und einem Vocoder, so dass Andersons Stimme sowohl als konstanter Beat wie auch als Begleitung in Form eines akkordischen griechischen Chores zu hören ist. Sasha Scotts Coverversion bildet die elektronische Begleitung des Originals nach, fügt mit der Gitarre aber ein akustisches Element hinzu. Orlandos Abenteuer ziehen sich durch dieses Programm und lassen es am Ende hinter sich, während die Identität der Figur sich durch wiederholtes Nachdenken darüber verändert. Zu wem oder was wird Orlando als Nächstes?


Aiden K. Feltkamp begann im Alter von fünf Jahren in New York, auf einem Viertel-Cello zu spielen und beschäftigt sich heute als Autor:in und Musiker:in mit Oper, Dichtung und Prosa. Feltkamps Arbeit konzentriert sich auf Geschichten aus marginalisierten Bereichen der Gesellschaft und umfasst gleichermaßen Ernstes und Albernes, Reales und Surreales. Zuletzt schrieb Feltkamp das Libretto zu Emily & Sue, einer Oper über Emily Dickinsons queere Identität, und kuratierte die preisgekrönte New Music Anthology for Trans & Nonbinary Voices, Vol. 1 von New Music Shelf.

Ein Leben wie ein Kaleidoskop
Orlando in musikalischen Portraits

Aiden Feltkamp


Der unsterbliche Ritter, der wandelbare Troubadour, die treu Liebende: Orlando durchlebt in seinen/ihren unterschiedlichen Rollen Abenteuer, die sein/ihr wahres Wesen enthüllen. Das Programm des heutigen Abends folgt Orlandos auf verschlungenen Pfaden verlaufenden Reisen durch Zeiten, Geschlechter und Medien, inspiriert von Werken wie dem altfranzösischen Chanson de Roland, Ludovico Ariostos Orlando furioso und Virginia Woolfs Orlando: Eine Biografie.

Orlandos Kriegserlebnisse werden zum ersten Mal in dem (um 1040 entstandenen) Chanson de Roland geschildert, einem der ältesten erhaltenen Werke der französischen Literatur, und mit seiner Rolle in Orlando furioso (1532) fortgeschrieben. Diese Dichtungen stellen die Pflichten eines Ritters sowie die höfische Liebe und die sich daraus ergebenden ritterlichen Abenteuer in den Mittelpunkt. In ihrem Roman von 1928 zwingt Virginia Woolf Orlando, über seine Identität nachzudenken, und verleiht ihm neben einem langen Leben auch eine fluide Geschlechtsidentität. Von ihrer ersten Geliebten und Schriftstellerkollegin Vita Sackville-West inspiriert, entwarf Woolf eine Orlando-Figur, die nicht nur vom Mann zur Frau wird und in der Ständeordnung vom Hofpagen zur Adligen aufsteigt, sondern auch die eigene Geschlechtsidentität und Sexualität erforscht. Der Roman verfolgt Orlandos Jahrhunderte umspannende Abenteuer durch reale Länder und metaphysische Seinszustände.

Das Programm von Ema Nikolovska und Sean Shibe spürt Orlandos kaleidoskopartigem Leben anhand von vier musikalischen Eckpunkten nach: Sasha Scotts 1000 parts of you, Cassandra Millers Dream Memorandum, den Orlando-Liedern von Detlev Glanert und Laurie Andersons O Superman. Außerdem zu hören sind Werke von Dowland, Massenet, Bob Dylan und anderen.

Sowohl Sasha Scott als auch Cassandra Miller thematisieren in ihren 2024 uraufgeführten Werken Orlandos Identität und wurden dabei von Woolfs Roman inspiriert. 1000 parts of you von Scott, die in London lebt und kürzlich ihr Studium am Royal College of Music abgeschlossen hat, greift ihre Coverversion von O Superman auf und verwendet dabei Stimme, Gitarre und Elektronik. Zu ihrem Werk erklärt sie: „[Das sechste Kapitel von Orlando] ließ mich darüber nachdenken, dass wir als Menschen alle das Gefühl haben, aus Tausenden verschiedenen Ichs und Einzelteilen zu bestehen, die uns zu dem machen, was wir sind. Zu der Zeit, als mich diese Gedanken beschäftigten, besuchte ich die Ausstellung Infinity Mirror Rooms von Yayoi Kusama. Die unendlich vielen Reflexionen in dem verspiegelten Raum, der sich für mich fast wie eine Nachbildung von Orlandos Gedankenwelt anfühlte, haben mich sehr bewegt und fasziniert. Mein Ziel war, dass die Klangwelt grenzenlos und kontemplativ, aber zugleich auch einnehmend und überwältigend wirkt.“

Die aus Kanada stammende Miller, Komponistin und ehemalige stellvertretende Leiterin der Kompositionsabteilung an der Londoner Guildhall School of Music & Drama, schrieb ihr Dream Memorandum (“It Reminded Me of the Truth”) anhand der Tonaufnahme eines Gesprächs mit Ema Nikolovska über die zentralen Themen in Woolfs Roman. Über ihre Vorgehensweise sagt Miller: „Ich bat Ema, Teile ihrer Sprachnachrichten an mich auswendig zu lernen und sie im Konzert mit Seans Begleitung zu sprechen. Ich finde den Klang von Emas Stimme geradezu magisch, beschwörend und intelligent – und, zum Glück für den Transkriptionsprozess, ziemlich tonal. Ihre Gedanken werden in einem temperamentvollen F-Dur artikuliert, und ihre tiefgründigsten Reflexionen haben für mich einen satten d-moll-Klang.“

Unser musikalischer Streifzug führt uns immer wieder zu Detlev Glanerts Orlando-Liedern zurück. Dieser Zyklus widmet sich verschiedenen Facetten von Orlandos Persönlichkeit und bildet gleichzeitig das musikalische Gerüst für das gesamte Programm. Die Texte sind von Ariosts Orlando furioso inspirierte zeitgenössische Gedichte der Schriftstellerinnen Margareth Obexer und Angela di Ciriaco-Sussdorff. Die Uraufführung des vollständigen Werks fand 2005 in Berlin mit Aron Brieger und Juliane Tief statt. Glanerts Hang zu harmonischer Komplexität in seinen Vokalwerken scheint in diesen Liedern auf, obgleich er seine normalerweise dichte Klangwelt hier durch den für die Troubadoure und Trobairitz des Mittelalters typischen kargen Erzählstil ersetzt. Die Singstimme bewegt sich frei über der lautenähnlichen Begleitung der Gitarre, wobei Glanerts emotional intensive Tonsprache sich für diese auf Leidenschaft und Abenteuer konzentrierten Texten ausgezeichnet eignet.

Dieser trobadoureske Klang bildet den roten Faden des Programms. Er findet sich in Dowlands Musik und verleiht Bob Dylans und Laurie Andersons Liedern ihre spezielle Farbe. Hört man Andersons O Superman in direkter Nachbarschaft zu Dylans Masters of War von 1963, einem Protestlied aus der Zeit des Kalten Krieges, werden darin die Auswirkungen des Krieges auf die Identität und das eingeschränkte Vermögen Orlandos, Gemeinsamkeit zu schaffen, deutlich. Anderson, ursprünglich als Indie-Avantgarde-Künstlerin bekannt, gelang mit O Superman der Durchbruch in die kommerzielle Musikszene, sie erreichte damit 1981 Platz zwei der britischen Single-Charts. Das Lied entstand als Teil von United States, einem achtstündigen, sich über zwei Abende erstreckenden Bühnenwerk, das neben musikalischen Nummern auch rein visuelle Passagen, gesprochene Texte und animierte Szenen enthielt. Das Bühnenstück wie das Lied setzen sich mit dem Leben in den USA auseinander, wobei im Mittelpunkt des Liedes die Frage steht, wie neue Technologien die Kommunikation zwischen den Menschen in Kriegszeiten verändern können. Das Stück wird gelegentlich auch als O Superman (for Massenet) bezeichnet, da Anderson sich bei der Komposition von der Arie „Ô souverain, ô juge, ô père“ aus Massenets Oper Le Cid inspirieren ließ. Die erste Zeile („O Superman, O Judge, O Mom and Dad“) spiegelt die Übersetzung der ersten Zeile von Massenets Arie („O sovereign lord, O judge, O father“ / „O Herrscher, o Richter, o Vater“), doch danach weicht der Text davon ab. Die Originalaufnahme von O Superman arbeitet mit einem Elektronik-Loop und einem Vocoder, so dass Andersons Stimme sowohl als konstanter Beat wie auch als Begleitung in Form eines akkordischen griechischen Chores zu hören ist. Sasha Scotts Coverversion bildet die elektronische Begleitung des Originals nach, fügt mit der Gitarre aber ein akustisches Element hinzu. Orlandos Abenteuer ziehen sich durch dieses Programm und lassen es am Ende hinter sich, während die Identität der Figur sich durch wiederholtes Nachdenken darüber verändert. Zu wem oder was wird Orlando als Nächstes?


Aiden K. Feltkamp begann im Alter von fünf Jahren in New York, auf einem Viertel-Cello zu spielen und beschäftigt sich heute als Autor:in und Musiker:in mit Oper, Dichtung und Prosa. Feltkamps Arbeit konzentriert sich auf Geschichten aus marginalisierten Bereichen der Gesellschaft und umfasst gleichermaßen Ernstes und Albernes, Reales und Surreales. Zuletzt schrieb Feltkamp das Libretto zu Emily & Sue, einer Oper über Emily Dickinsons queere Identität, und kuratierte die preisgekrönte New Music Anthology for Trans & Nonbinary Voices, Vol. 1 von New Music Shelf.

Die Künstler:innen


Ema Nikolovska
Mezzosopran

Ema Nikolovska wurde in Mazedonien geboren und wuchs in Toronto auf. Dort erhielt sie eine private Gesangsausbildung bei Helga Tucker und studierte Violine an der Glenn Gould School. Anschließend schloss sie ihr Masterstudium als Mezzosopranistin bei Rudolf Piernay und Susan McCulloch an der Guildhall School of Music and Drama in London ab. 2019 wurde sie als BBC New Generation Artist und für den Young Classical Artists Trust ausgewählt, 2022 gewann sie den renommierten Borletti-Buitoni Trust Award. Von 2020 bis 2022 war sie Mitglied des internationalen Opernstudios der Staatsoper Unter den Linden, wo sie u.a. Hauptrollen in Humperdincks Hänsel und Gretel und Christian Josts Die arabische Nacht übernahm. Im April 2023 gab sie dort ihr Rollendebüt als Octavian in Strauss’ Der Rosenkavalier. Abseits der Opernbühne gastierte sie jüngst mit Strawinskys Les Noces beim Orchestre symphonique de Montréal, mit Claude Viviers Wo bist du Licht! beim Orchestre philharmonique de Radio France sowie in Skrjabins Symphonie Nr. 1 beim Danish National Symphony Orchestra. Liederabende bilden einen wichtigen Teil ihrer Aktivitäten und führten sie u.a. an die Wigmore Hall in London, die Elbphilharmonie Hamburg, das Konzerthaus Berlin, die Weill Recital Hall an der Carnegie Hall in New York und zu den Festivals in Heidelberg, Verbier und Aldeburgh. Im Pierre Boulez Saal war Ema Nikolovska mehrfach im Rahmen der Schubert-Woche zu erleben.

März 2025


Sean Shibe
Gitarre, E-Gitarre, Elektronik

Sean Shibe absolvierte sein Studium bei Allan Neave am Royal Conservatoire of Scotland, bei Paolo Pegoraro in Italien und an der Kunstuniversität in Graz. Heute ist er Professor an der Guildhall School of Music and Drama in London und regelmäßig in Sälen wie dem Concertgebouw Amsterdam, der Elbphilharmonie Hamburg, der Philharmonie de Paris, dem Wiener Konzerthaus und der Alten Oper Frankfurt zu Gast. Neben Soloauftritten arbeitet er dabei mit verschiedenen Musiker:innen und Ensembles zusammen, darunter die Britten Sinfonia, das Dunedin Consort, das Danish String Quartet, der Tenor Allan Clayton und die Performancekünstlerin Marina Abramović. Er gibt regelmäßig neue Kompositionen für Gitarre in Auftrag und brachte Werke von Thomas Adès, David Fennessy, Shiva Feshareki, Julia Wolfe und anderen zur Uraufführung. In der aktuellen Saison ist er als Artist in Residence an der Londoner Wigmore Hall u.a. in Pierre Boulez Le Marteau sans maître sowie auf USA-Tournee mit dem Tenor Karim Sulayman zu erleben. Gemeinsam mit dem Australian Chamber Orchestra gestaltet er die Uraufführung von Cassandra Millers Gitarrenkonzert, bei den BBC Proms folgt dann die Premiere eines neuen Werks für E-Gitarre und Orchester von Mark Simpson.

März 2025

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