Michele Pasotti Musikalische Leitung und Laute

Alena Dantcheva Sopran
Giovanna Baviera Sopran und Viola da gamba
Bernd Froelich Altus
Massimo Altieri, Gianluca Ferrarini, Roberto Rilievi Tenor
Mauro Borgioni Bass

Enrico Onofri Violine
Teodoro Baù Viola da gamba
Giulia Genini Dulzian
Margret Koell Harfe
Federica Bianchi Cembalo und Orgel

Ancor che col partire

Vertonungen und Adaptionen von de Rore, Dalla Casa, Onofri, Gabrieli, de Monte, Rognoni, Bovicelli, Striggio, Vecchi, Pasquini, Bassano, del Liuto und Lasso 

Cipriano de Rore (um 1515–1565)
Ancor che col partire
aus Primo libro di madrigali à quattro voci di Perissone Cambio con alcuni di Cipriano Rore (1547)

Girolamo Dalla Casa (?–1601)
Ancor che col partire
aus Il vero modo di diminuir con tutte le sorti di stromenti & di voce humana (1584)

Enrico Onofri (*1967)
Fantazia upon Ancor che col partire (instrumental)
Uraufführung

Andrea Gabrieli (1532/33–1585)
Ricercar „Ancor che col partire“ (instrumental)
aus Il terzo libro de ricercari tabulati per ogni sorte di stromenti da tasti (1596)

Philippe de Monte (1521–1603)
Gloria
aus der Missa „Ancor che col partire“

Giovanni Battista Bovicelli (fl. 1592–94)
Angelus ad pastores
aus Regole, passaggi di musica, madrigali, e motetti passeggiati (1594)

Giovanni Bassano (1551/52–1617)
Ancor che col partire (instrumental)
aus Motetti, madrigali et canzoni francese (1591)

Alessandro Striggio (um 1536/37–1592)
Ancor ch’io possa dire
aus Primo libro de madrigali à sei voci (1560)

Riccardo Rognoni (um 1550–vor 1620)
Ancor che col partire per la viola bastarda (instrumental)
aus Il vero modo di diminuire con tutte le sorte di stromenti & anco per la voce humana (1592)

Orazio Vecchi (1550–1605)
Ancor ch’al parturire
aus L’Amfiparnaso (1597)

Ercole Pasquini (?–1608/18)
Ancor che col partire (instrumental)

Giovanni Bassano
Ancor che col partire per sonar più parti
aus Motetti, madrigali et canzoni francese

Andrea Gabrieli
Ancor che col partire
aus Primo libro delle iustiniane à tre voci (1570)

Lorenzino Tracetti detto del Liuto (um 1553/55–1590)
Ancor che col partire (instrumental)
aus Thesaurus harmonicus (1603)

Giovanni Battista Bovicelli
Ancor che col partire
aus Regole, passaggi di musica, madrigali, e motetti passeggiati

Orlando di Lasso (1532–1594)
Magnificat „Ancor che col partire“ LV 557 (1576)

Riccardo Rognoni
Ancor che col partire per sonar con ogni sorti di stromento (instrumental)
aus Il vero modo di diminuire

Cipriano de Rore
Ancor che col partire

 

Keine Pause

Cipriano de Rore (um 1515–1565)
Ancor che col partire
aus Primo libro di madrigali à quattro voci di Perissone Cambio con alcuni di Cipriano Rore (1547)

Girolamo Dalla Casa (?–1601)
Ancor che col partire
aus Il vero modo di diminuir con tutte le sorti di stromenti & di voce humana (1584)

Enrico Onofri (*1967)
Fantazia upon Ancor che col partire (instrumental)
Uraufführung

Andrea Gabrieli (1532/33–1585)
Ricercar „Ancor che col partire“ (instrumental)
aus Il terzo libro de ricercari tabulati per ogni sorte di stromenti da tasti (1596)

Philippe de Monte (1521–1603)
Gloria
aus der Missa „Ancor che col partire“

Giovanni Battista Bovicelli (fl. 1592–94)
Angelus ad pastores
aus Regole, passaggi di musica, madrigali, e motetti passeggiati (1594)

Giovanni Bassano (1551/52–1617)
Ancor che col partire (instrumental)
aus Motetti, madrigali et canzoni francese (1591)

Alessandro Striggio (um 1536/37–1592)
Ancor ch’io possa dire
aus Primo libro de madrigali à sei voci (1560)

Riccardo Rognoni (um 1550–vor 1620)
Ancor che col partire per la viola bastarda (instrumental)
aus Il vero modo di diminuire con tutte le sorte di stromenti & anco per la voce humana (1592)

Orazio Vecchi (1550–1605)
Ancor ch’al parturire
aus L’Amfiparnaso (1597)

Ercole Pasquini (?–1608/18)
Ancor che col partire (instrumental)

Giovanni Bassano
Ancor che col partire per sonar più parti
aus Motetti, madrigali et canzoni francese

Andrea Gabrieli
Ancor che col partire
aus Primo libro delle iustiniane à tre voci (1570)

Lorenzino Tracetti detto del Liuto (um 1553/55–1590)
Ancor che col partire (instrumental)
aus Thesaurus harmonicus (1603)

Giovanni Battista Bovicelli
Ancor che col partire
aus Regole, passaggi di musica, madrigali, e motetti passeggiati

Orlando di Lasso (1532–1594)
Magnificat „Ancor che col partire“ LV 557 (1576)

Riccardo Rognoni
Ancor che col partire per sonar con ogni sorti di stromento (instrumental)
aus Il vero modo di diminuire

Cipriano de Rore
Ancor che col partire

 

Keine Pause

asset_imageDie Erstausgabe von Cipriano de Rores Ancor che col partire, Venedig 1547 (Bayerische Staatsbibliothek München)

Cipriano de Rores Ancor che col partire ist das erfolgreichste Madrigal aller Zeiten. Es wurde kopiert, diminuiert, parodiert und seine Melodien haben Generationen von Komponisten fasziniert. In diesem Konzert versuchen wir, diese hypnotische Wirkung neu anzufachen, unser Publikum (und uns selbst) aufs Neue in diesen Bann zu ziehen, indem wir Ancor che col partire und seinen unendlichen Variationen ein ganzes Programm widmen.

Werkeinführung von Michele Pasotti

Scheiden, Lieben, Sterben
Die Metamorphosen eines Madrigals

Michele Pasotti


Cipriano de Rores Ancor che col partire ist das erfolgreichste Madrigal aller Zeiten. Es wurde kopiert, diminuiert, parodiert und als Vorlage für Messen, Magnificats und Instrumentalwerke verwendet. Seine Melodien haben Generationen von Komponisten fasziniert, darunter Lasso, Gabrieli, Vecchi, Cabezón, Rognoni, Pasquini, Dalla Casa, Striggio, Galilei, Bassano, Jasquet von Mantua, Bovicelli und Terzi – die Liste ließe sich beliebig verlängern. Es wurde zum Ideal des Madrigals, zu seinem Archetyp.

Der Text handelt von Liebe, vom Abschied nehmen und Sterben: eindeutig eine erotische Allegorie. Die Art und Weise jedoch, wie er ihn Musik gesetzt wird, die Melancholie, die seine Textur und Melodielinien durchzieht, verleihen ihm einen einzigartigen Charme, den schematische Definitionen nicht zu fassen vermögen.

In diesem Konzert versuchen wir, diese hypnotische Wirkung neu anzufachen, unser Publikum (und uns selbst) aufs Neue in diesen Bann zu ziehen, indem wir Ancor che col partire und seinen unendlichen Variationen ein ganzes Programm widmen. Konzipiert wurde es als ein einziges, durchgehendes Stück, eine Suite ohne Unterbrechungen, während der sich das Madrigal in vokale und instrumentale Diminutionen, Parodien, ein Magnificat und ein Gloria verwandelt. Es handelt sich um eine allumfassende Suche nach den Spuren seines ganz besonderen Zaubers.

Cipriano de Rore wurde 1515 oder 1516 in Ronse geboren, einer Stadt in Flandern, die heute als Renaix bekannt ist. Er machte, wie viele flämische Meister, Karriere in Italien, wo er einfach Cipriano oder gelegentlich „il divino Cipriano“ genannt wurde. Im Laufe seines Lebens veränderte sich sein Stil signifikant, vor allem in seinen italienischen Madrigalen, und entwickelte sich zugunsten einer Dramatisierung des Textes, was schließlich zu Monteverdis Behauptung führte, Cipriano sei der Begründer der Seconda pratica, der „zweiten Praxis“ oder des „neuen Stils“ des frühen 17. Jahrhunderts. (Monteverdis Lehrer Marc’Antonio Ingegneri war ein Schüler Ciprianos.) Cipriano, der in jungen Jahren nach Italien gezogen sein muss, stand möglicherweise in Diensten des Hofes von Margaret von Parma, der unehelichen Tochter Karls V. Manche Quellen bezeichnen ihn als Schüler von Adrian Willaert, des großen flämischen Meisters, der zu dieser Zeit maestro di cappella an der Basilika von San Marco in Venedig war. Nachdem er eine Zeit in Brescia gelebt und Venedig besucht hatte, wurde Cipriano 1546 zum maestro di cappella am Hofe der Este in Ferrara ernannt. Diese Stadt zählte seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zu den führenden Musikzentren. Bei seiner Ernennung war er 30 Jahre alt; er blieb bis 1558, also wenige Jahre vor seinem Tod 1565, in Ferrara. 

Ciprianos Zeit in Ferrara war äußerst produktiv. Ancor che col partire fällt in die erste Phase seines Madrigalschaffens, wie sich am vierstimmigen Satz (später schrieb er meist für fünf Stimmen), dem extensiven Einsatz der Imitation (später bevorzugte er deutlich eine strukturelle Homophonie) und der klaren Modalstruktur erkennen lässt. Das Stück wurde zum ersten Mal 1547 von Gardano in Venedig gedruckt; es erschien als Teil von Perissone Cambios Sammlung Primo libro di madrigali à quattro voci di Perissone Cambio con alcuni di Cipriano Rore

Das Gedicht eines anonymen Autors kann auf den ersten Blick als Beschreibung eines Abschieds zweier Liebenden und den Freuden ihres Wiedersehens gelesen werden. Da jedoch „partire“ (aufbrechen), „ritorno“ (Rückkehr) und „morire“ (sterben) bekannte Topoi erotischer Lyrik sind, beschreibt Ancor che col partire eigentlich eine Sexszene, wie der Musikwissenschaftler Christopher Reynolds schreibt: „Der oder die Liebende schwenkt von einer anfänglichen Beschreibung von Lust und Leid um zur Beteuerung, den Zyklus von Abschied und Rückkehr unendlich wiederholen zu wollen, zuerst ‚jede Stunde‘, dann ‚jeden Augenblick‘ und schließlich ‚tausend, tausendmal am Tag‘.“

Musikalisch fußt das Madrigal auf der Imitation und Wiederholung des ersten Motivs, wodurch die „Rückkehr“ in Musik und Text zusammentrifft. Durch den systematischen Gebrauch schwacher Kadenzen und Vorhalte erzielt Cipriano bis zum Ende des Madrigals den Effekt einer nie endenden Suche, die das unendliche Verlangen der Liebenden spiegelt. Das erotische Material wird keineswegs in „populärer“ Musiksprache bearbeitet (wie es Vecchi und Gabrieli später tun sollten). Im Gegenteil: Eine bittersüße Melancholie, der Tonart des Madrigals angemessen, durchzieht die gesamte Komposition und entspricht aufs Beste dem unerfüllten Verlangen der verminderten Kadenzen. Die Worte „Tant’è il piacer ch’io sento“ (So groß ist das Vergnügen, das ich spüre) sind in kürzeren Noten gesetzt, die sich bei et „così mille, mille volte il giorno“ (und so tausend, tausendmal am Tag) weiter intensivieren, wobei ein punktierter Rhythmus der Begeisterung zusätzliche Energie verleiht. Der letzte Teil, der mit diesen Worten beginnt und mit „Tanto son dolci gli ritorni miei“ (So süß ist meine Wiederkehr, wobei letztere im Italienischen im Plural steht) endet, wird zweimal wiederholt, mit einer stärkeren Kadenz am Schluss – was zum Eindruck „einer Endlosschleife von Aufbruch und Wiederkehr“ (Reynolds) beiträgt.

Jeder Versuch, den Zauber und die hypnotische Wirkung von Ancor che col partire in Worte zu fassen, ist vermutlich vergeblich; sein Eindruck lässt sich leichter hören als beschreiben. Die Wirkung des Werks auf Ciprianos Zeitgenossen jedenfalls war ungeheuer. Uns geht es genauso.

Ancor che col partire wurde bald zu einem beliebten Thema für die Diminution – einer Kompositionstechnik, bei der entweder die Notenwerte einer vorgegebenen Melodie verkürzt werden oder die Melodie mit Ornamenten versehen wird. Zwischen 1584 und 1624 schufen Komponisten wie Girolamo Dalla Casa, Jacopo Bassano, Riccardo Rognoni, Giovanni Battista Bovicelli, Francesco Rognoni und Giovanni Battista Spadi einige der wichtigsten Bearbeitungen – jeder produzierte seine eigene Version von Ancor che col partire (und manche mehr als eine).

Wir führen etliche davon auf, zuerst diejenige von Girolamo Dalla Casa, 1584 veröffentlicht in seinem Buch Il vero modo di diminuir con tutte le sorte di strumenti di fiato & di corda & di voce humana (Die wahre Methode der Diminution mit allen erdenklichen Blas- und Streichinstrumenten und der menschlichen Stimme). Seit 1568 bildete Dalla Casa mit zweien seiner Brüder das erste feste Instrumentalensemble an der Basilika San Marco in Venedig. In den 1580er Jahren war diese Gruppe gewachsen, und er wurde zum capo de’ concerti ernannt. Die Diminution von Ancor che col partire mit Lautenbegleitung, die wir aufführen, entstammt der Abteilung „Madrigali da cantar in compagnia, & anco co’l Liuto solo“. 

Ich freue mich sehr, dass im heutigen Konzert Enrico Onofri mit uns auftritt. Er ist ein Experte für die Welt der Diminutionen des 16. und 17. Jahrhunderts, weshalb ich ihn bat, uns eine neue Diminution von Ancor che col partire zu schreiben. Seine Version ist inspiriert von der Ornamentik der englischen divisions des 17. Jahrhunderts, wodurch eine wunderschöne zweiteilige Fantasie entsteht, die wie eine Mischung aus einer englischen division und einer Fantasie im Stil Matthew Lockes klingt. Heute erleben Sie ihre Uraufführung. 

Ein weiterer Typus imitativer Komposition ist das Ricercar. Der Begriff bezog sich ursprünglich auf Stücke nach Art eines Präludiums für Laute oder Tasteninstrumente; im Laufe der Renaissance nahm er seine spätere Bedeutung an. Ende des 16. Jahrhunderts veröffentlichte Andrea Gabrieli, Organist an der Basilika San Marco und mithin Kollege von Dalla Casa und Bassano, vier Bände voller Ricercars, in denen er häufig Inversion, Augmentation, Diminution und andere Fugentechniken anwendete. Darunter findet sich auch das Ricercar „Ancor che col partire“, hier auf der Doppelharfe gespielt. 

Ciprianos Madrigal zeitigte nicht nur Diminutionen und Instrumentalversionen, sondern auch geistliche Musik. Der flämische Meister Philippe de Monte war der eifrigste Madrigalkomponist seiner Zeit, doch hier präsentieren wir das Gloria aus seiner Missa „Ancor che col partire“. Diese gehört zur Kategorie der Parodiemessen, die musikalisches Material bereits existierender Chansons, Madrigale oder Motetten verwendeten – wie in diesem wunderschönen Stück deutlich zu hören. 

Giovanni Battista Bovicelli war eine Autorität auf dem Gebiet vokaler Diminutionen. Sein Angelus ad pastores aus der Sammlung Regole, passaggi di musica, madrigali et motetti passeggiati ist eine virtuose Bearbeitung von Ancor che col partire und darüber hinaus auch ein Beispiel für eine sogenannte Kontrafaktur, nämlich die Ersetzung eines bestehenden Gesangstextes durch einen neuen Text. Da Bovicellis Werk zur geistlichen Musik gehört, ist das Thema nicht wirklich vergleichbar mit dem Original … 

Im nächsten Stück von Giovanni Bassano spielt der Dulzian (der im Italien der Spätrenaissance bereits als fagotto bekannt war) eine zentrale Rolle. Giovanni Bassano entsprang einer berühmten Musikerdynastie in Bassano del Grappa, die in Venedig und England aktiv war. Ihre Assoziation mit Musik für Blasinstrumente in Venedig geht auf die Piffari del Doge, die „Pfeifer des Dogen“, im frühen 16. Jahrhundert zurück. Giovanni Bassano folgte auf Girolamo Dalla Casa in der Rolle des capo de’ concerti in San Marco. Seine Instrumentaldiminution ist seiner Sammlung Motetti, madrigali et canzoni francese entnommen, die 1591 veröffentlicht wurde. 

Ancor ch’io possa dire von Alessandro Striggio, einem Virtuosen und führenden Komponisten von Madrigalen und Bühnenmusik seiner Zeit, ist eine sehr eigenartige Komposition, die man als „risposta“ oder „Antwort“ auf Ancor che col partire definieren könnte. Christopher Reynolds, der das Verhältnis zwischen Striggios Madrigal und seinem Vorbild untersucht hat, schreibt: „Die Praxis des Antwortens auf ein Gedicht oder ein auf diesem Gedicht basierenden Madrigal – die sogenannte proposta – mit einem weiteren Gedicht und Madrigal – der risposta – führte zu vielen Liedpaaren, die verwandte musikalische Elemente aufwiesen, während sie gleichzeitig einen gewissen Kontrast aufbauten, ähnlich dem Kontrast zwischen den unterschiedlichen Stimmen zweier Liebender. […] Es war jedoch ebenso möglich, dass ein Komponist auf ein Madrigal eines anderen Komponisten reagierte, indem er ein Gedicht vertonte, das selbst als Antwort auf das Gedicht des früheren Madrigals gedacht war.“ In diesem Fall vertonte Striggio einen Text von Girolamo Parabosco, der 1547 veröffentlicht wurde. Seine Komposition, so Reynolds, „war ebenso sehr eine Antwort auf De Rores Musik, wie Paraboscos Zeilen eine Antwort auf das vorausgehende, anonyme Gedicht waren. […] Paraboscos Protagonist ist ein Liebhaber, dessen Ansichten denen des Individuums, das De Rores Madrigal zum Leben erweckt, diametral entgegenstehen. Striggio tut sein Bestes, um Paraboscos gegensätzliche risposta mit Musik zu untermauern, die genauso konträr ist. Er kehrt eine Zeile von Ancor che col partire nach der anderen um; ebenso verfährt er mit De Rores Gebrauch von Kadenzen.“

Wenn es einen Musiker gibt, der hoffnungslos dem Zauber von Ancor che col partire verfallen war, dann war es Riccardo Rognoni. In seiner Sammlung Il vero modo di diminuire con tutte le sorte di stromenti von 1592 führt er acht Beispiele für Diminutionen an – die Hälfte basierend auf Ancor che col partire. Diejenige, die heute abend zu hören ist, wird als per la viola bastarda beschrieben, also für eine Art Gambe, die einem Diminutions-Stil besonders entgegenkommt, der sich nicht auf eine einzige Stimme beschränkt, sondern sich durch unterschiedliche Stimmen und Register zieht. (Das Wort „bastarda“ wird hier im Sinne einer „Mischung“ gebraucht.)

Zusätzlich zu Diminutionen, geistlichen Werken, Kontrafakturen und Instrumentalversionen gab es auch Parodien – sie verliehen einem Stück den ultimativen Stempel des Erfolgs. Die Musik von Orazio Vecchi war bekannt für ihren Zug ins Satirische, ihre Popularität und rhythmische Vitalität. L’Amfiparnaso, sein berühmtestes Werk, enthält Ancor ch’al parturire, eine Parodie von Ancor che col partire. Der humoristische Text verdreht den Sinn des Originalgedichts, fort vom erotischen Kontext und hin zu den Freuden des Trinkens und Essens, die in komischen Worten evoziert werden. Ciprianos Musik ist zwar verwandelt, aber erkennbar vorhanden, mit einer zusätzlichen fünften Stimme.

Eine große Anzahl von Arrangements von Ancor che col partire wurde für Orgel und Cembalo geschaffen. Ercole Pasquini war in Ferrara und Rom ein führender Organist und ein Vorgänger von Frescobaldi. In seiner Instrumentalversion von Ciprianos Madrigal triumphiert die Virtuosität, denn sie enthält die meisten der denkbaren Verzierungen, die an einem Tasteninstrument ausführbar sind. 

Der instrumentale Ansatz des „diminuire alla bastarda“ wurde bereits erwähnt, aber dieser Stil war auch unter Sängern verbreitet, vor allem bei Bassstimmen. Dies ist der Fall bei Bassanos zweiter Diminution von Ancor che col partire. Sie ist bezeichnet „per sonar a più parti“, was bedeutet, dass die Melodie zwar zur Basslinie tendiert, aber trotzdem auch Ausflüge in die Tenor- oder Altregionen unternimmt. Bassanos Motetti, madrigali et canzoni francese ist die Hauptquelle für den Gesang und die Spielweisen der alla bastarda-Manier im 16. Jahrhundert. Diese Diminution gleicht der von Rognoni für Viola bastarda in ihrer Erkundung der „meraviglia“, der „Wunder“ einer Stimme – oder eines Instruments –, die sich in extreme Register vorwagt.

In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts waren Giustiniane die venezianische Antwort auf die neapolitanischen Villanelle: einfache polyphone Stücke, die Volkslieder, ihre Themen und Sprache nachahmten. Oft wurde, wie in Andrea Gabrielis Komposition, durch Wiederholungen, das Phänomen des Stotterns imitierten, oder durch höchst explizite, gar obszöne Sprache ein komischer Effekt erzielt. Die Parodie bewegt sich strukturell nah am Originalgedicht, verzerrt das Vokabular jedoch zu einem niederen, vulgären Tonfall.

Als eines der Hauptinstrumente des 16. Jahrhunderts findet sich die Laute oft bei Bearbeitungen von Ancor che col partire. Heute abend präsentieren wir Lorenzino del Liutos Intabulatur aus Jean-Baptiste Besards Thesaurus Harmonicus. Lorenzino, geboren als Sohn eines flämischen Musikers vermutlich unter dem Namen Lorenzino Tracetti, war ein international bekannter Lautenvirtuose, der vor allem in Rom arbeitete. Seine Version von Ancor che col partire ist eines der herausragenden Lautenwerke des späten 16. Jahrhunderts.

Es war nicht ungewöhnlich für Renaissance-Musiker, gleichzeitig zu singen und zu spielen. Diejenigen, die beides mit höchster Virtuosität beherrschten, waren jedoch rar und wurden entsprechend gefeiert – genau wie heute. Heute abend wird Giovanna Baviera, Mitglied von La fonte musica, eine Vokaldiminution von Ancor che col partire aus Bovicellis Regole, passaggi di musica, madrigali et motetti passeggiati vortragen – wobei sie die Cantus-Stimme singt und einen Auszug der anderen Stimmen auf der Gambe spielt. 

Das dritte geistliche Stück im heutigen Programm ist ein Werk des großen Orlando di Lasso. Die Schönheit von Ancor che col partire verleitete ihn dazu, ein wunderbares Magnificat zu schreiben, in dem gregorianischer Choral und fünfstimmige Polyphonie sich mit Zitaten und Bearbeitungen von Ciprianos Madrigal abwechseln. 

Die letzte Diminution, die Sie heute hören werden, ist eine weitere von Riccardo Rognoni, diese ist jedoch gedacht „per sonar con ogni sorte di stromento“ – um auf jeglichem Instrument gespielt zu werden. Diminuiert wird hier die Oberstimme, so dass das Werk idealerweise auf einem Cantus-Instrument gespielt werden sollte. Violine, Kornett oder Flöte kommen hier in Frage, aber die Geige scheint am passendsten, da Rognoni nicht nur ein Meister der Soprangambe war, sondern auch der erste, der die violino da brazzo, die Vorläuferin der modernen Violine, beschrieb.

Unser Programm endet, wie es begann – mit Cipriano de Rores Originalmadrigal, dem Ausgangspunkt und Ziel unserer Reise und der Inspiration dieser musikalischen Metamorphosen.


Übersetzung: Alexa Nieschlag

 

Scheiden, Lieben, Sterben
Die Metamorphosen eines Madrigals

Michele Pasotti


Cipriano de Rores Ancor che col partire ist das erfolgreichste Madrigal aller Zeiten. Es wurde kopiert, diminuiert, parodiert und als Vorlage für Messen, Magnificats und Instrumentalwerke verwendet. Seine Melodien haben Generationen von Komponisten fasziniert, darunter Lasso, Gabrieli, Vecchi, Cabezón, Rognoni, Pasquini, Dalla Casa, Striggio, Galilei, Bassano, Jasquet von Mantua, Bovicelli und Terzi – die Liste ließe sich beliebig verlängern. Es wurde zum Ideal des Madrigals, zu seinem Archetyp.

Der Text handelt von Liebe, vom Abschied nehmen und Sterben: eindeutig eine erotische Allegorie. Die Art und Weise jedoch, wie er ihn Musik gesetzt wird, die Melancholie, die seine Textur und Melodielinien durchzieht, verleihen ihm einen einzigartigen Charme, den schematische Definitionen nicht zu fassen vermögen.

In diesem Konzert versuchen wir, diese hypnotische Wirkung neu anzufachen, unser Publikum (und uns selbst) aufs Neue in diesen Bann zu ziehen, indem wir Ancor che col partire und seinen unendlichen Variationen ein ganzes Programm widmen. Konzipiert wurde es als ein einziges, durchgehendes Stück, eine Suite ohne Unterbrechungen, während der sich das Madrigal in vokale und instrumentale Diminutionen, Parodien, ein Magnificat und ein Gloria verwandelt. Es handelt sich um eine allumfassende Suche nach den Spuren seines ganz besonderen Zaubers.

Cipriano de Rore wurde 1515 oder 1516 in Ronse geboren, einer Stadt in Flandern, die heute als Renaix bekannt ist. Er machte, wie viele flämische Meister, Karriere in Italien, wo er einfach Cipriano oder gelegentlich „il divino Cipriano“ genannt wurde. Im Laufe seines Lebens veränderte sich sein Stil signifikant, vor allem in seinen italienischen Madrigalen, und entwickelte sich zugunsten einer Dramatisierung des Textes, was schließlich zu Monteverdis Behauptung führte, Cipriano sei der Begründer der Seconda pratica, der „zweiten Praxis“ oder des „neuen Stils“ des frühen 17. Jahrhunderts. (Monteverdis Lehrer Marc’Antonio Ingegneri war ein Schüler Ciprianos.) Cipriano, der in jungen Jahren nach Italien gezogen sein muss, stand möglicherweise in Diensten des Hofes von Margaret von Parma, der unehelichen Tochter Karls V. Manche Quellen bezeichnen ihn als Schüler von Adrian Willaert, des großen flämischen Meisters, der zu dieser Zeit maestro di cappella an der Basilika von San Marco in Venedig war. Nachdem er eine Zeit in Brescia gelebt und Venedig besucht hatte, wurde Cipriano 1546 zum maestro di cappella am Hofe der Este in Ferrara ernannt. Diese Stadt zählte seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zu den führenden Musikzentren. Bei seiner Ernennung war er 30 Jahre alt; er blieb bis 1558, also wenige Jahre vor seinem Tod 1565, in Ferrara. 

Ciprianos Zeit in Ferrara war äußerst produktiv. Ancor che col partire fällt in die erste Phase seines Madrigalschaffens, wie sich am vierstimmigen Satz (später schrieb er meist für fünf Stimmen), dem extensiven Einsatz der Imitation (später bevorzugte er deutlich eine strukturelle Homophonie) und der klaren Modalstruktur erkennen lässt. Das Stück wurde zum ersten Mal 1547 von Gardano in Venedig gedruckt; es erschien als Teil von Perissone Cambios Sammlung Primo libro di madrigali à quattro voci di Perissone Cambio con alcuni di Cipriano Rore

Das Gedicht eines anonymen Autors kann auf den ersten Blick als Beschreibung eines Abschieds zweier Liebenden und den Freuden ihres Wiedersehens gelesen werden. Da jedoch „partire“ (aufbrechen), „ritorno“ (Rückkehr) und „morire“ (sterben) bekannte Topoi erotischer Lyrik sind, beschreibt Ancor che col partire eigentlich eine Sexszene, wie der Musikwissenschaftler Christopher Reynolds schreibt: „Der oder die Liebende schwenkt von einer anfänglichen Beschreibung von Lust und Leid um zur Beteuerung, den Zyklus von Abschied und Rückkehr unendlich wiederholen zu wollen, zuerst ‚jede Stunde‘, dann ‚jeden Augenblick‘ und schließlich ‚tausend, tausendmal am Tag‘.“

Musikalisch fußt das Madrigal auf der Imitation und Wiederholung des ersten Motivs, wodurch die „Rückkehr“ in Musik und Text zusammentrifft. Durch den systematischen Gebrauch schwacher Kadenzen und Vorhalte erzielt Cipriano bis zum Ende des Madrigals den Effekt einer nie endenden Suche, die das unendliche Verlangen der Liebenden spiegelt. Das erotische Material wird keineswegs in „populärer“ Musiksprache bearbeitet (wie es Vecchi und Gabrieli später tun sollten). Im Gegenteil: Eine bittersüße Melancholie, der Tonart des Madrigals angemessen, durchzieht die gesamte Komposition und entspricht aufs Beste dem unerfüllten Verlangen der verminderten Kadenzen. Die Worte „Tant’è il piacer ch’io sento“ (So groß ist das Vergnügen, das ich spüre) sind in kürzeren Noten gesetzt, die sich bei et „così mille, mille volte il giorno“ (und so tausend, tausendmal am Tag) weiter intensivieren, wobei ein punktierter Rhythmus der Begeisterung zusätzliche Energie verleiht. Der letzte Teil, der mit diesen Worten beginnt und mit „Tanto son dolci gli ritorni miei“ (So süß ist meine Wiederkehr, wobei letztere im Italienischen im Plural steht) endet, wird zweimal wiederholt, mit einer stärkeren Kadenz am Schluss – was zum Eindruck „einer Endlosschleife von Aufbruch und Wiederkehr“ (Reynolds) beiträgt.

Jeder Versuch, den Zauber und die hypnotische Wirkung von Ancor che col partire in Worte zu fassen, ist vermutlich vergeblich; sein Eindruck lässt sich leichter hören als beschreiben. Die Wirkung des Werks auf Ciprianos Zeitgenossen jedenfalls war ungeheuer. Uns geht es genauso.

Ancor che col partire wurde bald zu einem beliebten Thema für die Diminution – einer Kompositionstechnik, bei der entweder die Notenwerte einer vorgegebenen Melodie verkürzt werden oder die Melodie mit Ornamenten versehen wird. Zwischen 1584 und 1624 schufen Komponisten wie Girolamo Dalla Casa, Jacopo Bassano, Riccardo Rognoni, Giovanni Battista Bovicelli, Francesco Rognoni und Giovanni Battista Spadi einige der wichtigsten Bearbeitungen – jeder produzierte seine eigene Version von Ancor che col partire (und manche mehr als eine).

Wir führen etliche davon auf, zuerst diejenige von Girolamo Dalla Casa, 1584 veröffentlicht in seinem Buch Il vero modo di diminuir con tutte le sorte di strumenti di fiato & di corda & di voce humana (Die wahre Methode der Diminution mit allen erdenklichen Blas- und Streichinstrumenten und der menschlichen Stimme). Seit 1568 bildete Dalla Casa mit zweien seiner Brüder das erste feste Instrumentalensemble an der Basilika San Marco in Venedig. In den 1580er Jahren war diese Gruppe gewachsen, und er wurde zum capo de’ concerti ernannt. Die Diminution von Ancor che col partire mit Lautenbegleitung, die wir aufführen, entstammt der Abteilung „Madrigali da cantar in compagnia, & anco co’l Liuto solo“. 

Ich freue mich sehr, dass im heutigen Konzert Enrico Onofri mit uns auftritt. Er ist ein Experte für die Welt der Diminutionen des 16. und 17. Jahrhunderts, weshalb ich ihn bat, uns eine neue Diminution von Ancor che col partire zu schreiben. Seine Version ist inspiriert von der Ornamentik der englischen divisions des 17. Jahrhunderts, wodurch eine wunderschöne zweiteilige Fantasie entsteht, die wie eine Mischung aus einer englischen division und einer Fantasie im Stil Matthew Lockes klingt. Heute erleben Sie ihre Uraufführung. 

Ein weiterer Typus imitativer Komposition ist das Ricercar. Der Begriff bezog sich ursprünglich auf Stücke nach Art eines Präludiums für Laute oder Tasteninstrumente; im Laufe der Renaissance nahm er seine spätere Bedeutung an. Ende des 16. Jahrhunderts veröffentlichte Andrea Gabrieli, Organist an der Basilika San Marco und mithin Kollege von Dalla Casa und Bassano, vier Bände voller Ricercars, in denen er häufig Inversion, Augmentation, Diminution und andere Fugentechniken anwendete. Darunter findet sich auch das Ricercar „Ancor che col partire“, hier auf der Doppelharfe gespielt. 

Ciprianos Madrigal zeitigte nicht nur Diminutionen und Instrumentalversionen, sondern auch geistliche Musik. Der flämische Meister Philippe de Monte war der eifrigste Madrigalkomponist seiner Zeit, doch hier präsentieren wir das Gloria aus seiner Missa „Ancor che col partire“. Diese gehört zur Kategorie der Parodiemessen, die musikalisches Material bereits existierender Chansons, Madrigale oder Motetten verwendeten – wie in diesem wunderschönen Stück deutlich zu hören. 

Giovanni Battista Bovicelli war eine Autorität auf dem Gebiet vokaler Diminutionen. Sein Angelus ad pastores aus der Sammlung Regole, passaggi di musica, madrigali et motetti passeggiati ist eine virtuose Bearbeitung von Ancor che col partire und darüber hinaus auch ein Beispiel für eine sogenannte Kontrafaktur, nämlich die Ersetzung eines bestehenden Gesangstextes durch einen neuen Text. Da Bovicellis Werk zur geistlichen Musik gehört, ist das Thema nicht wirklich vergleichbar mit dem Original … 

Im nächsten Stück von Giovanni Bassano spielt der Dulzian (der im Italien der Spätrenaissance bereits als fagotto bekannt war) eine zentrale Rolle. Giovanni Bassano entsprang einer berühmten Musikerdynastie in Bassano del Grappa, die in Venedig und England aktiv war. Ihre Assoziation mit Musik für Blasinstrumente in Venedig geht auf die Piffari del Doge, die „Pfeifer des Dogen“, im frühen 16. Jahrhundert zurück. Giovanni Bassano folgte auf Girolamo Dalla Casa in der Rolle des capo de’ concerti in San Marco. Seine Instrumentaldiminution ist seiner Sammlung Motetti, madrigali et canzoni francese entnommen, die 1591 veröffentlicht wurde. 

Ancor ch’io possa dire von Alessandro Striggio, einem Virtuosen und führenden Komponisten von Madrigalen und Bühnenmusik seiner Zeit, ist eine sehr eigenartige Komposition, die man als „risposta“ oder „Antwort“ auf Ancor che col partire definieren könnte. Christopher Reynolds, der das Verhältnis zwischen Striggios Madrigal und seinem Vorbild untersucht hat, schreibt: „Die Praxis des Antwortens auf ein Gedicht oder ein auf diesem Gedicht basierenden Madrigal – die sogenannte proposta – mit einem weiteren Gedicht und Madrigal – der risposta – führte zu vielen Liedpaaren, die verwandte musikalische Elemente aufwiesen, während sie gleichzeitig einen gewissen Kontrast aufbauten, ähnlich dem Kontrast zwischen den unterschiedlichen Stimmen zweier Liebender. […] Es war jedoch ebenso möglich, dass ein Komponist auf ein Madrigal eines anderen Komponisten reagierte, indem er ein Gedicht vertonte, das selbst als Antwort auf das Gedicht des früheren Madrigals gedacht war.“ In diesem Fall vertonte Striggio einen Text von Girolamo Parabosco, der 1547 veröffentlicht wurde. Seine Komposition, so Reynolds, „war ebenso sehr eine Antwort auf De Rores Musik, wie Paraboscos Zeilen eine Antwort auf das vorausgehende, anonyme Gedicht waren. […] Paraboscos Protagonist ist ein Liebhaber, dessen Ansichten denen des Individuums, das De Rores Madrigal zum Leben erweckt, diametral entgegenstehen. Striggio tut sein Bestes, um Paraboscos gegensätzliche risposta mit Musik zu untermauern, die genauso konträr ist. Er kehrt eine Zeile von Ancor che col partire nach der anderen um; ebenso verfährt er mit De Rores Gebrauch von Kadenzen.“

Wenn es einen Musiker gibt, der hoffnungslos dem Zauber von Ancor che col partire verfallen war, dann war es Riccardo Rognoni. In seiner Sammlung Il vero modo di diminuire con tutte le sorte di stromenti von 1592 führt er acht Beispiele für Diminutionen an – die Hälfte basierend auf Ancor che col partire. Diejenige, die heute abend zu hören ist, wird als per la viola bastarda beschrieben, also für eine Art Gambe, die einem Diminutions-Stil besonders entgegenkommt, der sich nicht auf eine einzige Stimme beschränkt, sondern sich durch unterschiedliche Stimmen und Register zieht. (Das Wort „bastarda“ wird hier im Sinne einer „Mischung“ gebraucht.)

Zusätzlich zu Diminutionen, geistlichen Werken, Kontrafakturen und Instrumentalversionen gab es auch Parodien – sie verliehen einem Stück den ultimativen Stempel des Erfolgs. Die Musik von Orazio Vecchi war bekannt für ihren Zug ins Satirische, ihre Popularität und rhythmische Vitalität. L’Amfiparnaso, sein berühmtestes Werk, enthält Ancor ch’al parturire, eine Parodie von Ancor che col partire. Der humoristische Text verdreht den Sinn des Originalgedichts, fort vom erotischen Kontext und hin zu den Freuden des Trinkens und Essens, die in komischen Worten evoziert werden. Ciprianos Musik ist zwar verwandelt, aber erkennbar vorhanden, mit einer zusätzlichen fünften Stimme.

Eine große Anzahl von Arrangements von Ancor che col partire wurde für Orgel und Cembalo geschaffen. Ercole Pasquini war in Ferrara und Rom ein führender Organist und ein Vorgänger von Frescobaldi. In seiner Instrumentalversion von Ciprianos Madrigal triumphiert die Virtuosität, denn sie enthält die meisten der denkbaren Verzierungen, die an einem Tasteninstrument ausführbar sind. 

Der instrumentale Ansatz des „diminuire alla bastarda“ wurde bereits erwähnt, aber dieser Stil war auch unter Sängern verbreitet, vor allem bei Bassstimmen. Dies ist der Fall bei Bassanos zweiter Diminution von Ancor che col partire. Sie ist bezeichnet „per sonar a più parti“, was bedeutet, dass die Melodie zwar zur Basslinie tendiert, aber trotzdem auch Ausflüge in die Tenor- oder Altregionen unternimmt. Bassanos Motetti, madrigali et canzoni francese ist die Hauptquelle für den Gesang und die Spielweisen der alla bastarda-Manier im 16. Jahrhundert. Diese Diminution gleicht der von Rognoni für Viola bastarda in ihrer Erkundung der „meraviglia“, der „Wunder“ einer Stimme – oder eines Instruments –, die sich in extreme Register vorwagt.

In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts waren Giustiniane die venezianische Antwort auf die neapolitanischen Villanelle: einfache polyphone Stücke, die Volkslieder, ihre Themen und Sprache nachahmten. Oft wurde, wie in Andrea Gabrielis Komposition, durch Wiederholungen, das Phänomen des Stotterns imitierten, oder durch höchst explizite, gar obszöne Sprache ein komischer Effekt erzielt. Die Parodie bewegt sich strukturell nah am Originalgedicht, verzerrt das Vokabular jedoch zu einem niederen, vulgären Tonfall.

Als eines der Hauptinstrumente des 16. Jahrhunderts findet sich die Laute oft bei Bearbeitungen von Ancor che col partire. Heute abend präsentieren wir Lorenzino del Liutos Intabulatur aus Jean-Baptiste Besards Thesaurus Harmonicus. Lorenzino, geboren als Sohn eines flämischen Musikers vermutlich unter dem Namen Lorenzino Tracetti, war ein international bekannter Lautenvirtuose, der vor allem in Rom arbeitete. Seine Version von Ancor che col partire ist eines der herausragenden Lautenwerke des späten 16. Jahrhunderts.

Es war nicht ungewöhnlich für Renaissance-Musiker, gleichzeitig zu singen und zu spielen. Diejenigen, die beides mit höchster Virtuosität beherrschten, waren jedoch rar und wurden entsprechend gefeiert – genau wie heute. Heute abend wird Giovanna Baviera, Mitglied von La fonte musica, eine Vokaldiminution von Ancor che col partire aus Bovicellis Regole, passaggi di musica, madrigali et motetti passeggiati vortragen – wobei sie die Cantus-Stimme singt und einen Auszug der anderen Stimmen auf der Gambe spielt. 

Das dritte geistliche Stück im heutigen Programm ist ein Werk des großen Orlando di Lasso. Die Schönheit von Ancor che col partire verleitete ihn dazu, ein wunderbares Magnificat zu schreiben, in dem gregorianischer Choral und fünfstimmige Polyphonie sich mit Zitaten und Bearbeitungen von Ciprianos Madrigal abwechseln. 

Die letzte Diminution, die Sie heute hören werden, ist eine weitere von Riccardo Rognoni, diese ist jedoch gedacht „per sonar con ogni sorte di stromento“ – um auf jeglichem Instrument gespielt zu werden. Diminuiert wird hier die Oberstimme, so dass das Werk idealerweise auf einem Cantus-Instrument gespielt werden sollte. Violine, Kornett oder Flöte kommen hier in Frage, aber die Geige scheint am passendsten, da Rognoni nicht nur ein Meister der Soprangambe war, sondern auch der erste, der die violino da brazzo, die Vorläuferin der modernen Violine, beschrieb.

Unser Programm endet, wie es begann – mit Cipriano de Rores Originalmadrigal, dem Ausgangspunkt und Ziel unserer Reise und der Inspiration dieser musikalischen Metamorphosen.


Übersetzung: Alexa Nieschlag

 

asset_image
Cipriano de Rore, Miniatur von Hans Mielich (aus einer Widmungshandschrift von Rores Motetten für Herzog Albrecht V. von Bayern, 1559) (Bayerische Staatsbibliothek München)

Das Ensemble


La fonte musica

Das italienische Ensemble La fonte musica vereint unter der Leitung seines Gründers Michele Pasotti führende Musiker:innen aus dem Bereich der Alten Musik und hat sich auf die Interpretation der europäischen Musik des 14. bis 17. Jahrhunderts spezialisiert. Die jahrelange Erfahrung seiner Mitglieder sowie ein detailliertes Studium der überlieferten Quellen wie der kulturellen Umwelt des ausgehenden Mittelalters und der Renaissance insgesamt bilden die Grundlage für die Arbeit des Ensembles, das bei den renommiertesten Festivals für Alte Musik in ganz Europa gastiert, darunter Oude Muziek Utrecht, das Ravenna Festival, die Innsbrucker Festwochen der Alten Musik, Laus Polyphoniae Antwerpen, Urbino Musica Antica und das Brighton Early Music Festival. In dieser Spielzeit brachten die Musiker:innen Monteverdis L’Orfeo im Konzerthaus Wien, im DeSingel Antwerpen, im Concertgebouw Cruges und am Teatro Fraschini in Pavia zur Aufführung. Das Ensemble veröffentlichte eine Reihe hochgelobter Aufnahmen, darunter eine Gesamteinspielung der Werke von Antonio Zacara da Teramo, die u.a. mit dem Diapason d’or und dem Preis der deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet wurde. 2023 erhielt La fonte musica den Premio Abbiati als Ensemble des Jahres. Im Pierre Boulez Saal sind die Musiker:innen seit 2020 jährlich zu Gast.

Mai 2025

Veranstaltungsdetails & Karten
Print Program